Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Adam Nergal Darski: Beichten eines Ketzers

Lesen Sie unter der Rubrik „Religionskritik“ noch immer Marx, Feuerbach und Freud? Oder darf es auch der mindestens literarisch interessantere Nietzsche sein? „Modern“ sind diese Klassiker der Religions- und Christentumskritik jedenfalls nicht und ihre zeitgenössischen Nachfolger à la Dawkins und Co. sind argumentativ meist wenig spannend. Um wie viel aufregender und zeitgemäßer vor allem in der Lebenswelt von (zum Teil auch älteren) Jugendlichen dürfte da eine Auseinandersetzung mit einer Form der Christentumskritik sein, wie sie plakativer und lauter nicht sein könnte: dem Black Metal. Noch immer ist diese Spielwiese von zum Teil sehr reflektierten, nachdenklichen Menschen nicht im Bewusstsein von Theologen angekommen, wenn es auch, wie von Sebastian Berndt (Gott haßt die Jünger der Lüge, 2012), bereits erste Arbeiten zu diesen Themen gibt.

Die Auseinandersetzung mit der Ästhetik und den Botschaften der Metaller sollte, so jedenfalls die Position des Rezensenten, als Möglichkeit verstanden werden, die Kritik am Christentum nicht als theologisches Sandkastenspiel zu betrachten, sondern als Phänomen der Gegenwartswelt. Der Black Metal ist dabei spätestens über das alljährliche Wacken-Open-Air in das Feuilleton der deutschen Zeitungen gewandert. In seinen skandinavischen Ursprungsländern hat er das gewalttätige Image der 90er Jahre mit zahlreichen Morden und Brandstiftungen an Kirchen überwiegend abgelegt und ist sowohl in der Populärkultur wie in den Charts angelangt. Bands wie die norwegische Satyricon spielen in der Den Norske Opera & Ballett in Oslo, der ehemalige Sänger der ebenfalls norwegischen Band Gorgoroth entwirft u.a. Damenmode. Über Band-Merchandising wie T-Shirts kommen die Ästhetik des Black Metal und seine antichristliche Botschaft bewusst provokant und blasphemisch daher.

Mit diesen einleitenden Worten sollte deutlich geworden sein, dass man es mit dem Black Metal heute nicht mehr mit einem Nischen- oder Jugendphänomen zu tun hat, sondern mit einem dezidiert offenen und kämpferisch antichristlichen Denken, das in die sogenannten Mitte der Gesellschaft drängt (wo immer diese auch sein mag), sowie der Reiz, sich mit diesem Denken zu beschäftigen. Möglicherweise sitzen die „Gründe“ für eine Beschäftigung in entsprechenden T-Shirts längst in der eigenen Klasse.

Eine Möglichkeit neben einer direkten Beschäftigung über Songtexte und/oder Videos bietet seit letztem Jahr das Buch „Beichten eines Ketzers“ des Frontmanns der polnischen Black Metal-Band Behemoth, Adam Nergal Darski. Als Interviewbuch ursprünglich auf Polnisch erschienen, wurde es erst ins Englische, dann ins Deutsche übersetzt und bietet interessante Einsichten in die Gedankenwelt eines sich selbst und die Welt reflektierenden Individualisten. Darski berichtet über die Anfänge seiner Musik und das harte Leben auf dem Weg, von der eigenen Musik leben zu können. Die Verbindungen zur Szene und zu Fans sind ebenso Thema wie das Tourleben, welches Darski zu Menschen führt, die seine antichristliche Gedankenwelt nicht teilen und ihm gegenüber auch vor Waffengebrauch nicht zurückschrecken. Nicht nur der steigende Erfolg seiner Band Behemoth führt Darski immer weiter in die Öffentlichkeit, ebenso seine Tätigkeit als Juror für die polnische Version von „The Voice“ und seine mehrjährige Beziehung zu Dorota Rabczewska, einer bekannten polnischen Pop-Sängerin, bringt ihn in den Fokus der Papparazzi – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem Blutkrebs bei ihm diagnostiziert wird, den Darski schließlich überwindet – ohne dabei religiös zu werden, wie einige Landsleute gehofft und kolportiert hatten. Es ist vor allem der unbändige Drang hin zu einer Individualität – einer Individualität, die sich durch nichts und niemanden einschränken lassen, die ständig die Kontrolle über das eigene Selbst bewahren will und die Menschen in der eigenen Umgebung diesem Drang unterwirft –, die das eigentlich Interessante wie das eigentlich „Satanische“ an diesem autobiographischen Buch ausmacht. Gerade dieser Drang zum Individualistischen ist es, was den Reiz am Denken hinter dem Black Metal ausmacht. Es geht nicht, wie man in vielen Ratgebern noch der späten 80er und frühen 90er Jahre lesen kann, um eine „Anbetung Satans“ o.ä., sondern um den Kampf gegen Institutionen, ihre Anhänger und Regeln, die dem Ausleben der eigenen Sichtweise im Wege zu stehen scheinen. Bei Darski ist dies vor allem die in seinen Augen immer noch starke katholische Kirche in seinem Heimatland, doch es sind auch die Menschen, die in seinem Leben eine Rolle spielen wollen: Sie haben sich seinem Rhythmus zu unterwerfen (wenn man es freundlich ausdrücken möchte).

Man muss dieses radikal-individualistische Denken nicht auf Nietzsche oder Aleister Crowley zurückführen, aber es dürfte diese Form eines radikal gedachten Individualismus sein, der für das Denken hinter dem Black Metal die Türen in die plurale Öffentlichkeit hinein öffnet. Und genau dort begänne die eigentliche Auseinandersetzung mit einem Denken, dessen Konsequenzen bei Darski beinahe ausschließlich im zwischenmenschlichen Bereich liegen. Die Anspielungen auf die auf dem Hintergrund dieses Denkens begangenen Verbrechen in Skandinavien während der 90er Jahre zeigen, welche radikalen Auswüchse im Bereich des Wirklichen lagen – und immer noch liegen? „Beichten eines Ketzers“ hört an einer Stelle auf, an der die Auseinandersetzung zwischen „Ketzern“, „Heiden“ und Christen in einer pluralen Welt eigentlich erst beginnen müsste. Im Sinne einer religionskritischen Auseinandersetzung mit aktuellen und vor allem populären Denkansätzen bietet das Buch einen ganz anderen Einstieg. Ich denke, es lohnt sich, dieser Spur nachzugehen.

Mit Mark Eglinton und Krzysztof Azarewicz & Piotr Weltrowski:
Der Heilige und der Heide: Behemoth and Beyond
Vorwort von D. Randell Blythe
Wittlich: Index Verlag. 2018
392 Seiten m. Abb.
24,95 €
ISBN 978-393-687-833-2

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