Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Gloy / Thorsten Knauth: glauben, vertrauen, zweifeln

unter Mitarbeit von Rachel Herweg, Oliver Petersen, Erlend Pettersson, Amin Rochdi, Melek Yildiz
Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe I mit CD-Rom

Der großen Zahl vielfältigster Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe hat die Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg gemeinsam mit dem Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche und dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg als Herausgeber eine Reihe mit eigenen Unterrichtskompendien hinzugefügt, die für sich ein spezielles Profil beanspruchen: Ihnen liegt das Prinzip des interreligiös-dialogischen Lernens zugrunde, das seine praktischen Wurzeln im Konzept des Hamburger Religionsunterrichts für alle hat. Unterstützt wird das Projekt durch einen Beirat mit Repräsentanten der Religionsgemeinschaften.

Bei den hier vorgestellten Publikationen handelt sich um die ersten in einer Reihe von zehn geplanten Bänden zu Themen für die Grundschule und die Sekundarstufe I, wie sie in den bundesweiten Lehrplänen vorgesehen sind. Als Adressaten haben sie religiös und weltanschaulich gemischte Gruppen im Blick. Die Verfasserinnen und Verfasser weisen allerdings im Vorwort darauf hin, dass die Arbeitshefte auch für den konfessionellen RU einsetzbar sind. 

In beiden Bänden werden zur Eröffnung einige Kapitel zur Didaktik vorangestellt, die sachorientiert am Thema, entwicklungspsychologisch bezogen auf die Lerngruppe und didaktisch-methodisch auf die Unterrichtsplanung und -durchführung ausgerichtet sind. Das Konzept des dialogisch-interreligiösen Lernens, das den Prinzipien „Schülerorientierung“, „Traditionsorientierung“, „Dialogorientierung“, „Authentizität“ und „Wissenschaftsorientierung“ folgt, wird jeweils im Nachwort erläutert. Im Wesentlichen wird damit beschrieben, dass der Ausgangspunkt der Unterrichtsplanung wie des Unterrichtsgeschehens auf der Subjektseite immer der entwicklungspsychologische Stand sowie die Lebens- und Verstehenswelt der Lernenden sein muss. Die Objektseite, also das Thema, das durch die Mehrperspektivität unterschiedlicher Religionen geprägt ist, folgt nicht einer religionswissenschaftlich-distanzierten Darstellung, sondern wird wissenschaftlich verantwortet und zugleich auf die authentische Erfahrungsdimension der jeweiligen Altersgruppe bezogen. 

Die Unterrichtsmaterialien „Für eine gerechte Welt – Prophetinnen, Propheten und wir“ sehen eine Erarbeitung der Frage aus der Sicht von Christentum, Judentum, Islam und Buddhismus vor. Zu den didaktischen Hinweisen wird deshalb in gebotener Kürze eine informative fachwissenschaftliche Einführung zum Verständnis von Prophetinnen und Propheten in den entsprechenden Religionen gegeben. Um einen engen Bezug des Themas zum Fragehorizont der Lernenden transparent werden zu lassen und zu sichern, führen die Verfasserinnen und Verfasser einen didaktischen Fünfschritt ein: „Sehen lernen“, „Klagen lernen“, „Träumen und Warnen lernen“, „Prüfen lernen“, „Gehen lernen“, und mit Blick auf den abweichenden Ansatz des buddhistischen Wegs die Schritte „Wünschen und Wissen“. Die darin erkennbare Progression folgt in Analogie dem klassischen religionsdidaktischen Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“. 

Dem Prophetentum in allen vier behandelten Religionen wird übergreifend und leitmotivisch die Frage nach Gerechtigkeit in der Gegenwart als korrelierendem Moment zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler gegenübergestellt. Den didaktischen Prinzipien des Konzepts entsprechend, soll das Thema damit an die Erfahrungen der Altersgruppe anschließen. Die Einführung schließt mit Arbeitsmaterialien und Hinweisen zu möglichen Konzeptionen einer Unterrichtseinheit, orientiert an dem beschriebenen didaktischen Fünfschritt, außerdem mit Erläuterungen zu den verwendeten Übersetzungen und Transliterationen der Heiligen Schriften. 

Die Unterrichtsmaterialien sind in die Metapher einer Landschaft mit zehn aufeinander folgenden Wegen eingebettet, die den fünf didaktischen Schritten zugeordnet sind. Darin wird eine Fülle von sorgfältig ausgearbeitetem Material angeboten. Graphisch und im Layout ist es übersichtlich und motivierend gestaltet, so wie das ganze Heft mit der beigefügten CD aufwändig aufbereitet ist. Die Aufgabenstellungen sind kreativ und vielseitig. Insbesondere die Quellentexte können solistisch und ausgewählt eine Bereicherung sein, denn in dieser Form der thematischen Zusammenstellung und derart aufbereitet lässt sich Vergleichbares schwerlich finden. Insofern bieten die Materialien einen Pool an Bausteinen zum Thema Prophetentum für jeden Religionsunterricht. Als Konzept für eine komplette Unterrichtsreihe, die sich über mehrere Wochen erstreckt – wie dies in der vorliegenden Form vorgesehen ist – erscheint der Schwierigkeitsgrad für die Sekundarstufe I allerdings erheblich, denn die Reihe ist sehr überfrachtet. 

Die Verfasserinnen und Verfasser problematisieren zu Recht, dass interreligiöses Arbeiten eines sorgfältigen Umgangs mit den Heiligen Schriften der Religionen bedarf, der so authentisch wie möglich erfolgen soll. Deshalb liegen sämtlichen in den Unterrichtsmaterialien verwendeten Texten Übertragungen orientiert am Urtext und dabei nach Möglichkeit gut verstehbar zugrunde. Der Anteil dieser Texte nimmt allerdings einen erheblichen Raum ein. Sie sind zum Teil lang, sperrig lesbar und erschließen sich oft nicht leicht. Lernende mit Lese- und Rechtschreibproblemen dürften damit schnell überfordert sein. Da hilft auch der Hinweis wenig, dass dies immer wieder Anlass zu Gesprächen über Ursprung und Intention der Texte sein kann und soll. 

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Verbindung von drei Themenschwerpunkten – der Frage nach Gerechtigkeit, der Einführung in das Prophetentum und der Begegnung mit mehreren ausgewählten Propheten aus den verschiedenen Religionen – eine Unterrichtseinheit für die Sekundarstufe I nicht doch überdehnt. Man darf skeptisch sein, ob es bei dieser Komplexität in der Unterrichtsrealität tatsächlich gelingt, Propheten wie Jeschajahu/Jesaja, Jeremia, Muhammed, Aschoka, um nur einige aus der Reihe zu nennen, in ihrer Verschiedenheit in den Blick zu nehmen, auch wenn in den Arbeitshinweisen Ansätze dafür zur Verfügung stehen.

Eine andere, kleinformatigere Vorgehensweise sehen die Materialien zum Band „glauben, vertrauen, zweifeln“ vor. Thematisch geht es um die „großen Fragen“ wie Glaube – Wissen – Zweifel, Sinn, Glück und Jenseitsvorstellungen. Im Vorspann erläutern die Verfasserinnen und Verfasser die zugrundeliegende Idee: Es gibt insbesondere zu den „großen Fragen“ in einer Religion nie eine monolithische Sichtweise, sondern höchst verschiedene Positionen. Deshalb stellen im vorliegenden Arbeitsheft einzelne Expertinnen und Experten aus Buddhismus, Alevitentum, Islam, Hinduismus, Judentum und Christentum ihre persönliche Sichtweise vor. Das Unterrichtskonzept intendiert, diese ins Gespräch zu bringen, zu hinterfragen und die Lernenden zu ermutigen, darüber selbst ins Nachdenken zu kommen und zu diskutieren. Im Zentrum steht dieser Prozess – und nicht ein abgeschlossenes Ergebnis. Um dafür ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen, empfehlen die Verfasserinnen und Verfasser einführend einen Kernbestand an Bausteinen, die sinnvollerweise erarbeitet werden sollten, um die angestrebten Ziele in ihrer Mehrperspektivität zu erreichen; weitere Aspekte können zur Vertiefung dienen. Zudem sind den Unterrichtsmaterialien Bearbeitungshinweise zur Evaluation angefügt sowie Vorschläge und Texte mit Arbeitsaufträgen für schriftliche Lernerfolgskontrollen.

Den Verfasserinnen und Verfassern gelingt es in jedem Aspekt und durchgängig, ihr Ideenkonzept zu realisieren. Die Textbausteine sind angemessen kurz, informativ und herausfordernd anspruchsvoll, so dass sie gut in einer Unterrichtsstunde der Sekundarstufe I bearbeitet werden können. Insbesondere die Arbeitsaufträge sind kreativ, abwechslungsreich, altersangemessen motivierend und bieten Impulse, die ins Zentrum des Problems führen. 

Dieser Materialband ist auch für den konfessionellen Religionsunterricht in jeder Hinsicht empfehlenswert. Sinnvoll ist es dann allerdings, die Reihe um vertiefende Aspekte aus der eigenen Religion so zu erweitern, so dass Schülerinnen und Schülern eine entsprechende Orientierung ermöglicht wird. 

ID Interreligiös-dialogisches Lernen 6
Berlin: Cornelsen Schulbuchverlage (Kösel). 2015
128 Seiten m. farb. Abb.
19,99 €
ISBN 978-3-06-065501-4

 

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