Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Holzem: Christentum in Deutschland 1550-1850

Ein wahrhaft monumentales Werk über die Geschichte des Christentums in Deutschland hat Andreas Holzem vorgelegt. Auf 1200 Seiten Text, 150 Seiten Literaturverzeichnis und einem ausführlichen Register behandelt er die Geschichte der christlichen Konfessionen zwischen Reformation und Industrialisierung. Die zehn umfangreichen Kapitel lassen sich den drei Stichworten des Untertitels zuordnen.

Konfessionalisierung ist für den Tübinger Kirchenhistoriker nach wie vor das zentrale Stichwort, unter dem sich die Christentumsgeschichte bis zur Aufklärung theoretisch fassen lässt. Es ist eine politische Kategorie, die zur Bildung von Bekenntnissen und Kirchenverfassungen führte. Die Verchristlichung der Lebenswelten wurde durchgesetzt, notfalls mit Gewalt, wie der Dreißigjährige Krieg und die Hexenverfolgungen zeigten.

Einen protestantischen „Sonderweg“ zeigt Holzem mit dem Pietismus auf, der das Christentum stärker privatisierte. Die „Bürgerreligiosität“ wirkte sich auf katholischer Seite in Kirchen- und Gesellschaftsreform aus. Beides – Pietismus und Aufklärung – überstand die Französische Revolution und die Säkularisation und führte zu religiösen Neuaufbrüchen in Romantik, Ultramontanismus und Erweckung. Mit der Revolution von 1848/49, mit der er den Beginn der Moderne diagnostiziert, schließt das Werk.

Jedes Kapitel setzt mit dem Blick auf eine oder mehrere Personen ein, die das Thema im konfessionellen Vergleich angeben. Da werden Karl V. und Martin Luther in Beziehung gesetzt, Kardinal Giovanni Morone und Elisabeth von Sachsen, die Adelsfamilie von Würtzburg und der Arzt und Weihbischof Niels Stensen, die Bürger von Rottweil und Ravensburg, um ihre früh verstorbenen Kinder trauernde Eltern, Chorherren und Kommissare zur Aufhebung von Klöstern und viele andere. Geschichte wird konkret im Schicksal von Menschen. Konfessionalisierung ist mehr als ein Konzept. Sie ist Bekenntnis und Lebensführung.

Eine deutliche Mentalitätsverschiebung nimmt Holzem durch die Aufklärung wahr. Ihre Folgen zeigen sich politisch durch die notwendigen Neuordnungen von Strukturen, Kirchenordnungen und Bistümern. Der Katholizismus setzt seine Entwicklung zur öffentlichen Religion fort, der Protestantismus entdeckt die „eigne Provinz im Gemüthe“. Beide Konfessionen sind durch die soziale Frage herausgefordert, was zur Ausbildung konfessioneller Milieus führt.

Im elften Kapitel arbeitet Holzem für die drei behandelten Zeitepochen heraus, welche Konsequenzen sich jeweils für den Typus der Heiligung ergeben. Im Zeitalter der Konfessionalisierung stand für die Katholiken die „Sakralität der Institution“, für die Protestanten die „Stetigkeit des Geschehens“ in Predigt und Wort im Vordergrund. Das gesellschaftliche Modell von Kirche verlor in der Aufklärung an Bedeutung, während im Pietismus die Wiedergeburt in der wahren Kirche entdeckt wurde. Die Kirchen in der Moderne protestierten gegen eine „Staatskirche“, förderten aber die Institutionalisierung und Professionalisierung der eigenen Gemeinschaft. Die Pluralisierung der Bekenntnisse und der Lebensformen macht Religion zu einem Handlungsfeld neben anderen. Letzten Endes hat Religion für Holzem einen stark individuellen Charakter. Für ihn „sind die Spuren der religiösen Furcht, die Emotionen der Bedrängnis oft klarer greifbar als die Zeichen des Vertrauens und der gottgewissen Gelassenheit“.

Auch wenn der Umfang der Christentumsgeschichte der Frühneuzeit abschreckend wirkt und sich dahinter die vorläufige Summe eines Forscherlebens auftut, lohnt sich die Lektüre. Bei aller theoretischen Fundierung sind es gerade die Geschichten, die in der Geschichte sichtbar werden und an denen sich Wandungen und lange Dauer veranschaulichen lassen.

 

Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag. 2015

Zwei Bände, zusammen 1485 Seiten

168,00 €

ISBN 978-3-506-77980-9

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