Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Mauz / Ulrich Weber (Hg.): „Wunderliche Theologie“

Das Dialogfeld von Theologie und Literatur(-wissenschaft) erweist sich schon seit drei Jahrzehnten als überaus produktive interdisziplinäre Denkwerkstatt (vgl. www.theologie-und-literatur.de). Die jeweils aktuellen geisteswissenschaftlichen Entwicklungen und Strömungen schlagen sich in immer neuen Zugängen, Schwerpunktsetzungen und Bündelungen nieder. Der vorliegende Band fokussiert seine Ausführungen auf „die neuere Literatur der deutschsprachigen Schweiz“ (15), unter anderem deshalb, weil diese bislang theologisch-literarisch eher wenig beachtet wurde, so der Mitherausgeber Andreas Mauz im Vorwort.

Zurückgehend auf ein hochrangig besetztes Symposion im Centre Dürrenmatt in Neuchâtel versammelt der Band glänzend erarbeitete Zugänge aus vielerlei Perspektiven. Nicht alle können hier benannt werden. Zwei theoretische Panoramablicke setzen den Auftakt: Peter Rusterholz legt zunächst einen beispielreichen Überblick zu der Frage vor, ob es überhaupt so etwas gäbe wie eine spezifisch schweizerische Literatur mit eindeutig religiöser Tonlage. Letztlich sieht er Hinweise darauf, dass sich die Schweiz auf dem Weg zu einer „transnationalen Literatur“ (48) befindet, in der sich auch das Religiöse neue sprachliche Bahnen bricht.

Ganz anders der zweite Überblicksartikel: Andreas Mauz führt unter Auswertung der aktuellen Diskursliteratur ein in die gängigen „interdisziplinaritätstheoretischen Rekonstruktionen von Interpretationspraktiken zwischen Literaturwissenschaft und Theologie“ (53 ff.). Seine hier entwickelte Meta-Theorie gibt zahlreiche kritische Anregungen für die Hermeneutik dieses Dialogfeldes, das sich neu beweisen muss in den Vorgaben derzeitiger Ansprüche an Multidisziplinarität, Interdisziplinarität und Transdisziplinarität.

Die folgenden Beiträge stellen oft das Werk (nicht, wie frühere vergleichbare Zusammenstellungen, die Biographie) eines zentralen Autors oder einer Autorin in den Mittelpunkt: Thomas Mann im Blick auf die literarischen Spuren seiner Beziehung zur Unitarian Church (Heinrich Detering); die Mitbegründerin der Dada-Bewegung Emmy Hennings hinsichtlich religiöser Referenzen in ihren Romanen (Christa Baumberger); Hermann Hesses fiktional und autobiographisch gespiegelte Auseinandersetzung mit dem Glauben seiner Eltern (Rudolf Probst); Friedrich Dürrenmatts „Kampf mit seinem Glauben“ (Pierre Bühler), soweit dies an seinen frühen Werken nachvollziehbar wird; die Rezeption der bislang kaum beachteten Impulse Hugo Balls im Werk von Kurt Marti (Magnus Wieland) und schließlich religiöse Bezüge im Werk von Thomas Hürlimann (Irmgard M. Wirtz). Ein Blick auf die Rezeption des Buddhismus in aktuellen literarischen Spiegelungen des Westens (Christoph Gellner) erweitert den breit gespannten Bogen um eine bedeutsame interreligiöse Perspektive.

Auffällig: Alle Beiträge (bis auf den von I. Wirtz) knüpfen an die aktuellen Fachdiskurse an, nehmen die bisherigen Forschungen bibliographisch und gedanklich auf und erweitern sie um wesentliche Erkenntnisse. Sprachlich gut geschrieben bieten sie spannende Einblicke in ein Feld, das bislang tatsächlich zu wenig beachtet wurde.

Zwei Beiträge von Literaten runden den Band ab. In bewährt sprachartistischem Ton und prägnanten Bildfügungen nähert sich zunächst Sibylle Lewitscharoff „Friedrich Dürrenmatt und Gott“. Den Abschluss bildet Thomas Hürlimann mit seiner kurzen „Story meiner Auferweckung“, der Schilderung einer medizinischen Grenzerfahrung auf der Folie der Lazarus-Episode aus Joh 11.

Für an Theologie und Literatur Interessierte bietet der Band spannende Lesezugänge. Hier wird das Feld nicht nur thematisch aufgefüllt, sondern inhaltlich wie methodologisch vorangetrieben. Die „wunderliche Theologie“ – eine Referenz an Gottfried Kellers Novelle „Fähnlein der sieben Aufrechten“ (1861) –, die in den hier vorgestellten Werken zum Vorschein kommt, regt immer wieder dazu an, den Stil einer zeitgenössisch überzeugenden Rede von Gott neu auszuloten.

 

Sommerakademie Centre Dürrenmatt Neuchâtel

Herausgegeben vom Schweizerischen Literaturarchiv Bd. 5

Göttingen: Wallstein Verlag. 2015 / Zürich: Chronos Verlag. 2015

296 Seiten m. Abb.

18,90 €

ISBN 978-3-8353-1830-4 / 978-3-0340-1322-2

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