Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Stegmann: Die Kirchen in der DDR

Andreas Stegmann stellt in fünf chronologischen Kapiteln einen Überblick über die Geschichte der protestantischen und der katholischen Kirche in der DDR vor, die beide das Feld der etwa dreißig christlichen Religionsgemeinschaften auf dem Gebiet der DDR dominierten (8). Die die Diaspora als ihren Identitätsmarker verstehende katholische Kirche umfasste aufgrund der Fluchtbewegungen nach dem 2. Weltkrieg zunächst etwa ein Zehntel der Bevölkerung der Sowjetischen Besatzungszone / DDR, das rasch jedoch auf ein Zwanzigstel zusammenschmolz. Dem landeskirchlichen Protestantismus waren zunächst vier Fünftel der Bürgerinnen und Bürger der DDR zugehörig. Bis zum Jahr 1990 sank dieser Anteil auf ein Viertel. Unter den Freikirchen stellten mit etwa zehntausend Mitgliedern die Methodisten und Baptisten die größten Gemeinschaften dar. Bis zum Ende der DDR stieg die Zahl der Konfessionslosen von 5 auf fast 70 Prozent der Bevölkerung.

Die zeitlichen Zäsuren zieht Stegmann bis auf das letzte Jahrzehnt der SED-Herrschaft entlang politischer Ereignisse (Gründung der DDR 1949, Mauerbau 1961, Verfassungsrevision 1968). Kapitel 5 („Von der Friedensbewegung zur Friedlichen Revolution 1978-1990“) stellt stärker binnenkirchliche Ereignisse als Zäsur in den Vordergrund, etwa das Spitzengespräch protestantischer Kirchenvertreter mit Honecker (1978); auf katholischer Seite markiert der Tod des Berliner Bischofs Alfred Bengsch 1979 einen Einschnitt, da dieser wesentlicher Referenzpunkt für den Katholizismus seit den 1960er Jahren gewesen war. Seine Amtszeit sieht Stegmann zu Recht nach den turbulenten 1950er Jahren als „von einer Beruhigung im Verhältnis von Staat und katholischer Kirche gekennzeichnet“ (68).

Auch die anderen Epochenmarken stehen größtenteils mit kirchlichen Ereignissen in Verbindung: In den Nachkriegsjahren galt es vor allem für die evangelischen Kirchen, sich neue Strukturen zu geben (EKD, VELKD, EKU). In den katholischen Jurisdiktionsbezirken mit Bistumssitz im Westen Deutschlands – also jenseits der Bistümer Berlin und Meißen – schuf man stabile provisorische Strukturen, die erst in den 1970er Jahren eine De-facto-Herauslösung aus den bundesrepublikanischen Diözesen erfuhren, ohne eigenständige Diözesen zu werden. Die Integration der Vertriebenen stellte eine besondere Herausforderung für die Kirchen und die Gemeinden vor Ort dar. Nach einer Phase der der realen Not geschuldeten Kooperation in der unmittelbaren Nachkriegszeit schildert Stegmann die repressiven antikirchlichen Maßnahmen, die zwischen Sommer 1952 und 1953 ihren Höhepunkt erreichten. Ziel der Kirchenpolitik sei seither gewesen, die Kirchen aus der Öffentlichkeit zurückzudrängen, die religionskritische und kirchenfeindliche Propaganda zu verstärken, die Zersetzungspolitik der Kirchen von innen („Differenzierung“) zu forcieren und sozialistische Alternativen zu religiösen Übergangsritualen zu schaffen. Das landeskirchliche Bemühen, die Volkskirche zu sichern, machte zwei gegensätzliche Positionen sichtbar: Der Bischof der Berlin-Brandenburgischen Kirche, Otto Dibelius, plädierte für eine konsequente Abgrenzung zum SED-Staat (47), dem gegenüber man nicht zu Obrigkeitsgehorsam verpflichtet sei. Die Gegenposition vertrat der Thüringer Landesbischof Mitzenheim, der auf „Anpassung und Kooperation“ und den Rückzug der Kirche in den religiösen Bereich setzte, „um dadurch schiedlich-friedliches Nebeneinander von Staat und Kirche zu ermöglichen“ (47f.). Katholischerseits ging man in die Haltung einer politischen Abstinenz.

Die 1960er Jahre waren in den evangelischen Landeskirchen theologisch durch die „Zehn Artikel über Freiheit und Dienst der Kirche“ (1963) geprägt. Gesellschaftspolitisch bedeutete dies eine „Selbstbehauptung gegenüber dem SED-Staat im Dienst der Menschen“ (60). Katholischerseits begann nach dem 2. Vatikanischen Konzil auch in der DDR ein „Jahrzehnt des kirchlichen Aufbruchs“, was – so die kluge Beobachtung Stegmanns – vornehmlich mit dem gesellschaftlichen Klima zusammenhing, das im Westen wie im Osten sich zu ändern begonnen habe (72). Hierfür stehen die in Ausrichtung, Programm und Wirkung sehr verschiedenen Meißner Diözesansynode (1969-71) und die Pastoralsynode (1973-75). Weihbischof Joachim Wanke in Erfurt brachte es auf der vielzitierten Formel auf den Punkt, dass es gelte, das Evangelium „auf mitteldeutsch zu buchstabieren“ (74). Die evangelischen Landeskirchen formierten sich seit 1969 im „Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR“ (BEK). Um die Mitte der 1970er Jahre war der zwei Jahrzehnte zuvor noch offen ausgetragene Konflikt zwischen den Landeskirchen und dem SED-Staat weitgehend ausgestanden. Protestantischerseits wurde dies theologisch (!) durch die Formel „Kirche im Sozialismus“ (Synode 1973) ermöglicht. „Der landeskirchliche Protestantismus zog sich nicht auf sich selbst zurück und nahm die Entwicklung zur randständigen Minderheitenkirche hin, sondern beanspruchte auf neue Weise, eine Kirche für das Volk zu sein. Und da die DDR ein sozialistischer Staat war, hieß das, Kirche im Sozialismus zu sein, wenn man Kirche für die Breite Bevölkerung sein wollte.“ (76) Die Freikirchen, denen Stegmann ein kleines Unterkapitel widmet, vollzogen eine wesentlich radikalere Positionierung, indem sie bereit waren, „sich auch auf den Staatssozialismus einzulassen“ (84). „Zusammen mit den Wirkungen der Synodalrede Heino Falckes 1972 ‚Christus befreit – darum Kirche für andere‘“ attestiert Stegmann einen „Ausweg aus der Sackgasse von Rückzug und Resignation“ (77). Doch dieses „erfolgreiche“ Programm blieb spannungsgeladen (Aus dem Zusammenhang eigentlich überraschend spricht Stegmann von der „Verunklarung der Situation der Kirchen im totalitären Staat“, 81). Als Wendepunkt sieht er die Selbstverbrennung von Pfarrer Oskar Brüsewitz an, die „den scheinbaren Frieden als von beiden Seiten gern gehegte Selbsttäuschung“ erwiesen habe (82).

Katholische wie protestantische Christen engagierten sich seit Mitte der 1970er Jahren in den Themenfeldern Menschenrechte, Friede und Umwelt, so dass eine durch die protestantischen Kirchen ermöglichte und teilweise mitgetragene „alternative Öffentlichkeit“ (89) entstehen konnte, die an sehr konkreten Problemen vor Ort Verbesserungen zu erlangen suchte. Exemplarisch sei auf die ökumenischen Friedensdekaden verwiesen, zu deren Symbol der Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ avancierte. Es war ein widerständiges Symbol, das in Schulen, die stark militarisiert worden waren, immer wieder Auseinandersetzungen provozierte. Das christliche Engagement und alternative Gottesdienstformen („Blues-Messen“) ermöglichte neue Allianzen mit nichtkirchlichen Kreisen. Gerade im Hinblick auf die Friedliche Revolution kann diese Öffnung der (protestantischen) Kirche im doppelten Sinn des Wortes der Gemeinden und des Kirchenraumes nicht überschätzt werden. Der „Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung“ war zwar ökumenisch ausgerichtet, doch überschätzt Stegmann in dieser Frage ebenso wie bei der Friedlichen Revolution das Engagement der in der katholischen Kirche amtlich Verantwortlichen. Katholikinnen und Katholiken gingen als Einzelpersonen auf die Straße, „die revolutionäre Dynamik wurde aber weder von kirchlichen Gremien entfesselt noch von Oppositionsgruppen, die sich zu politischen Parteien erklärten, sondern entstand auf der Straße. Dabei spielten kirchliche Veranstaltungen wie Friedensgebete oder Mahnwachen eine Rolle, indem sie zu Kristallisationskernen der revolutionären Volksbewegung wurden“ (102). Staatliche Stellen suchten im Sommer 1989 die Kirchen als Vermittler einzuschalten, doch „die massenhafte Infragestellung der SED-Macht lag nicht mehr im Einflussbereich der Kirchen“ (103). Nach der Maueröffnung engagierten sich Christen bei den Runden Tischen und in der im März 1990 frei gewählten Volkskammer und gestalteten so aktiv die beginnenden Transformationsprozesse mit. Hohe Bedeutung erlangten die Kirchen in den Monaten zwischen März und Oktober 1990. Der staatlichen Wiedervereinigung folgte die kirchliche, die in beiden Kirchen – auch hier unterschätzt Stegmann die katholischen Dynamiken – nicht ohne Irritationen, Spannungen und Auseinandersetzungen ablief.

Die bisher geschilderte Verlaufsgeschichte wird von Stegmann gut dargestellt. Er versteht es, die kirchlichen Entwicklungen von gesellschaftlichen Prozessen und theologischen Grundentscheidungen her zu beschreiben. Leider ist seine Darstellung gerahmt von der Vorstellung, man müsse diese Geschichte von dem Begriff (und der dahinterstehenden differenzierten Theorie) des Totalitarismus her entwickeln. Diese Vorentscheidung (im Einleitungskapitel ist sie zudem verbunden mit der Zustimmung zur unsäglichen Bemerkung, die DDR sei nur eine „Fußnote der Weltgeschichte“, 9) führt zu wertenden Beschreibungen, die leider eine Sensibilität für Themen wie Alltag oder religiöse Normalität oder eine Wertschätzung der Diaspora-Theologie o.ä. vermissen lässt. Stegmann verheddert sich dadurch in den Fallstricken politischer Geschichte und ihrer Deutung, die man durchaus auch anders sehen kann. Wer entsprechende interpretierende Passagen einordnen kann, dem sei dieses Buch empfohlen. Es ergänzt das in den Protestantismus sehr gut einführende Werk von Veronika Albrecht-Birkner (Freiheit in Grenzen, Leipzig 2018), das einen anderen Zugang wählt. Für den Katholizismus liegt leider kein neueres einführendes und nicht allzu umfangreiches Werk vor.

Von der sowjetischen Besatzung bis zur Friedlichen Revolution

C.H. Beck Wissen
München: C.H. Beck Verlag. 2021
129 Seiten
9,90 €
ISBN 978-3-406-76412-7

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