Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Andreas Wollbold: Predigen

Andreas Wollbold, Professor für Pastoraltheologie an der Universität München, ist überzeugt: Eine (gute) Predigt ist eine „Überlebensfrage der Kirche“ (11). Aber wie geht das? Sein Buch ist ökumenisch ausgerichtet und setzt sich kritisch mit den Einsichten evangelischer Predigtlehrer auseinander. Es nimmt den reichen „Erfahrungsschatz“ der (vor-)christlichen Rhetorik in den Blick. Und es bietet eine Mischung aus Denkanstößen und Handlungsimpulsen nach dem Motto „so viel Theorie wie nötig und so viel Praxisnähe wie möglich“ (12).

Aktuelle Umfragen zeigen: Die Predigt hat einen hohen Stellenwert – für die Verkündigung der Kirche wie für die Gläubigen. Sie will wirken und ist doch oft wirkungslos. Das hat kulturelle Gründe, ist aber auch bedingt durch das Unvermögen des Predigers (26-33). Er muss über rhetorische und über moralische Qualitäten verfügen: Er soll ein „sittlich guter Mensch“ sein, wie Cato d. Ä. es schon im 2. Jh. v. Chr. gefordert hatte (34-42). Der Verfasser entfaltet anhand der Person des Mose die zu allen Zeiten gegebene Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Das Wort Gottes begegnet in menschlicher Wortgestalt. Aus dieser Differenz ergeben sich Chancen wie Risiken (43-55).

Der Verfasser bietet im zweiten Teil eine ausführliche Übersicht über die Grundzüge der klassischen und christlichen Rhetorik (79-111). Er macht deutlich, dass das Verhältnis von Rhetorik und Theologie nicht frei von Spannungen ist und der Benutzung der Rhetorik durch die Homiletik widersprochen wurde: aus rhetorischen (Manipulationsverdacht), theologischen (Dialektische Theologie) und pastoralen (heutige Kommunikationsgesellschaft) Gründen. Wollbold ist dennoch überzeugt: Beide Größen haben sich bis zum heutigen Tag immer wieder gegenseitig befruchtet (112-131).

Der dritte Teil widmet sich den verschiedenen Formen der Predigt. Die erste (und älteste) Form ist die klassische Homilie; sie geht Vers für Vers dem Schrifttext nach und fügt daran Erläuterungen und Transfers in das Leben der Gläubigen. Eine andere Form ist die thematische Predigt; sie versucht einen systematischen Zugriff auf Themen und Leitideen aus Schrift, Liturgie oder heutigen Fragen. Und es gibt die Predigt zu einem besonderen Anlass. Elf ausgewählte Situationen werden auf ihre jeweiligen Herausforderungen und Möglichkeiten hin bedacht (151-175).

Der vierte Abschnitt leitet zur Predigtpraxis über. Eine Predigt ist ein Kommunikationsvorgang, der sich zwischen drei Größen abspielt, dem Prediger, dem Hörer und dem Schrifttext (213-234). Wollbold arbeitet in Anlehnung an bekannte Sprachtheoretiker wie Bühler, Schulz von Thun, Austin und Searle heraus: Kommunikation spielt sich nicht nur auf der Sach-, sondern auch auf der Beziehungsebene ab und entfaltet das u.a. an den vier Hauptfunktionen jeder Rede: der Selbstdarstellung (Was sagt jemand über sich selbst?), dem Appell (Was wünscht jemand vom anderen?), der Information (Worüber spricht jemand?) und dem Kontrakt (Wie verhält er sich zu anderen?).

Die letzten fünf Kapitel widmen sich den verschiedenen Schritten der Predigtarbeit. Sie orientieren sich an der klassischen Rhetorik und bringen moderne Einsichten der Kreativitätspsychologie und zeitgenössischen Predigttheorie ein. Der erste Schritt ist die Inventio, das Finden der Gedanken. Diese werden in einem zweiten Schritt, in der Dispositio, geordnet. Der dritte Schritt, die Elocutio, beschäftigt sich mit dem sprachlichen Ausdruck der Gedanken. Die Memoria will helfen, die Gedanken zu verinnerlichen. Die Actio schließlich betrifft die Vorbereitung und das Halten der Predigt (263-340).

Der Verfasser hatte bereits in dem 2004 erschienenen „Handbuch der Gemeindepastoral“ seine Gedanken zur Homiletik formuliert, jedoch nicht in der Breite und Vielschichtigkeit, die er in der vorliegenden Publikation an den Tag legt. Er wendet sich primär an Prediger und solche, die es werden wollen. Er regt sie zu kritischer Selbstreflexion an und macht ihnen Mut, die eigene Fach- und Sachkompetenz zu pflegen und zu erweitern. Er vertieft darum seine Ausführungen durch zahlreiche Zitate aus der theologischen und profanen Literatur sowie durch Übungen, die immer wieder zum „learning by doing“ einladen. Er schreibt aber auch für Predigthörer und vergleicht das Predigt- mit dem Musik-Hören: Man hört mehr, wenn man Bescheid weiß (12).

Andreas Wollbold zeigt mit seinem Buch auf eindringliche Weise, dass eine (gute) Predigt gerade in Zeiten gestörter Glaubensweitergabe eine „Überlebensfrage der Kirche“ ist. Dem Buch sind wie jeder guten Predigt viele aufmerksame Rezipienten zu wünschen!

Grundlagen und praktische Anleitung
Regensburg: Friederich Pustet Verlag. 2017
408 Seiten
29,95 €
ISBN 978-3-7917-2890-2

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