Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Anselm Grün / Andrea J. Larson: Sag mal, Onkel Willi

Bei diesem hier vorgestellten Dialog über die großen Fragen des Lebens treten zwei Menschen in einen intensiven Kontakt. Da ist zunächst der durch zahlreiche Publikationen hervorgetretene Benediktiner-Mönch und Theologe Anselm Grün (Jahrgang 1945), der in der Abtei Münsterschwarzach als Wirtschafts- und Finanzleiter tätig ist. Seine Gesprächspartnerin ist seine Nichte Andrea Larson (Jahrgang 1978), die ein Universitätsstudium der Wirtschaftswissenschaften absolviert hat, mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in den USA lebt und ein Buch über Liebe und Partnerschaft sowie ein Buch über die Mutter-Tochter-Beziehung veröffentlicht hat.

Durch einen Austausch von Briefen zwischen der Nichte, die als Mitteilende und Fragende den Dialog eröffnet, und dem Onkel, der daraufhin in meist etwas kürzeren Antworttexten reagiert, entwickelt sich ein Gespräch sehr unterschiedlicher Menschen: Die Frau und der Mann. Der noch relativ junge und der alte Mensch. Die Ehefrau/Mutter und der zölibatäre Priester. Die in der Welt Lebende und der den Ordensregeln gehorchende Klostermönch. Die in eine fremde Kultur Ausgewanderte und der immer in der fränkischen Heimat Gebliebene.

Ungefähr die erste Hälfte des Briefwechsels macht die Beschäftigung mit der Frage aus, was dem menschlichen Leben Fülle und Sinn gibt. Andrea Larson bringt dabei die Erfahrungen und die Sorgen vieler Menschen der Gegenwart zu Sprache: Trotz allem eifrigen Ringen um Leistung und Erfolg, um Status und Wohlstand, um Gesundheit und Schönheit, um Selbstvertrauen und Weltvertrauen, um Anerkennung und Gesehen-Werden, um Gemeinschaft und Freundschaft, um Liebe und Geliebt-Werden – es klappt nicht so richtig! Das soeben Errungene zerrinnt morgen schon wieder zwischen den Fingern oder wird schal und fraglich. Dies schildert Andrea Larson eindrucksvoll, auch anhand von Beispielen aus dem eigenen Leben. Hinzu kommt, so stellt sie fest, dass sie und viele Menschen sich Sorgen machen, das Falsche zu wählen und das Bessere zu versäumen. Mit all diesen Beobachtungen zum Seelenzustand der Gegenwart konfrontiert sie beharrlich ihren Onkel. Müsste er, der doch als Mönch auf viel Schönes verzichtet, nicht noch mehr leiden als die in der Welt lebenden Zeitgenossen?

Anselm Grün beantwortet diese wiederholt gestellten Fragen mit viel Einfühlungsvermögen, aber in letzter Instanz immer auf die gleiche Weise: mit einem Hinweis auf Gott, den Grund allen Seins. Bei diesen Ausführungen postuliert er immer wieder, dass jeder einzelne Mensch ein von Gott Gewollter ist und als Seelenkern etwas von Gott Geschaffenes in sich trägt. Dieser Seelenkern ist nicht zufällig oder familiär bzw. sozial geworden, sondern das ursprüngliche Bild, das Gott vor Augen hatte, als er den einzelnen Menschen schuf. In diesem Zusammenhang verweist Anselm Grün wiederholt auf den Schweizer Psychotherapeuten Carl Gustav Jung (1875-1961), der Freuds Psychoanalyse weiterentwickelt und in ihr dem religiösen Bedürfnis einen angemessenen Platz zugewiesen hatte. Jung hatte erkannt und plausibel machen können, dass der Mensch nicht nur über ein dem Bewusstsein angehörendes Ich verfügt, sondern dass es im Innersten der Psyche ein haltendes Zentrum gibt, das er das Selbst nennt. So wie die Kirche lehrt, der Mensch möge das Göttliche suchen und in sich finden, so lehrte Jung, der Mensch solle sich auf seiner Lebensreise immer mehr dem Seelenkern des Selbst – zu dem man auch Gott sagen könne – schrittweise verwandelnd annähern.

Auf die Frage, wie denn der moderne Mensch die oben aufgezählten Erfahrungen des Scheiterns und der Angst aushalten und bewältigen könne, gibt Anselm Grün eine zugleich tiefenpsychologische wie religiöse Antwort. Der Mensch soll Scheitern und Angst nicht verdrängen, sondern sie jeweils tief und mit allen Gefühlen betrauern. Dann zeigt sich auf dem Grund der Seele Gott, der den Menschen hält und ihm bedingungslos in Liebe zugewandt ist. Deshalb bezweifelt Anselm Grün, dass der Mensch durch eine Beteiligung am Wettlauf um Erfolg, Geld, Status, Anerkennung, Liebe usw. zum Lebensglück kommen kann. Unglück gibt es sowieso in jedem Leben, auch in einem religiösen, aber die Treue zu dem ganz besonderen Bild, das Gott von mir vor Augen hatte – und damit auch meine Treue zu Gott und Gottes Treue zu mir – das kann durch das Leben hindurchtragen. Natürlich ist dieser Weg der Selbsterkenntnis und der Selbstwerdung, das weiß Anselm Grün, ein Weg, der kaum einmal ganz bis zur Vollendung gegangen werden kann. Der Mensch bleibt Mensch. Interessant, dass Anselm Grün bei der Hinzuziehung C. G. Jungs auf dessen Schrift „Antwort auf Hiob“ nicht eingeht. Denn dort hinterfragt Jung die Vorstellung von einem Gott, der alleine gut sei.

Im zweiten Teil des Briefwechsels geht es um Fragen der Sexualität, des Gottesbildes, der Kirche, des Verhältnisses zu anderen Religionen, des Bibelverständnisses, des richtigen Verständnisses Jesu, des Weiblichen in Gott und des Weiterlebens nach dem Tod – bedeutende Themen, auf die an dieser Stelle nur hingewiesen werden kann.

Einige der Dinge, die Kirche und Welt in den letzten Jahren bewegten, kommen nicht zur Sprache. So etwa der sexuelle Missbrauch in der Kirche, der Zustrom von Flüchtlingen und Migranten nach Europa und die deutlichen Klimaveränderungen. Zunächst erstaunlich. Eine Recherche im Internet ergibt, dass das hier vorgestellte Werk mit gleichem Titel bereits Anfang 2014 im adeo-Verlag herausgekommen ist. Erstaunlich, dass die Verlagsgemeinschaft topos plus nicht deutlich macht, dass es sich bei dem gerade erschienen Buch offenbar um einen unveränderten Neudruck einer schon vor Jahren auf den Markt gekommenen Veröffentlichung handelt. Dennoch: Das Buch der beiden Verfasser kann dem nach Gott suchenden Menschen unserer Tage sehr empfohlen werden.

Ein Dialog über die großen Fragen des Lebens
Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus. 2019
190 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-8367-0057-3

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