Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Anselm Grün / Leonardo Boff: neu denken – eins werden

Mit dem vorliegenden Buch widmen sich der Benediktinermönch Anselm Grün und der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff der Frage, wo und wie Gott zu finden und zu erfahren ist. Sie nähern sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven und mit anderen Schwerpunkten, gelangen in der gegenseitigen Lektüre aber zu ähnlichen Ergebnissen und Ansichten.

Im ersten Teil betrachtet zunächst Anselm Grün das Göttliche in uns: „Wir können Gott nicht spüren, wenn wir uns nicht selber spüren. Wir können zu Gott keine Beziehung aufbauen, wenn wir zu uns selbst keine Beziehung haben.“ Anhand verschiedener Autoren (z.B. Platon, Augustinus, verschiedene Kirchenväter, Mystiker, C.G. Jung, Alfred Delp, Teilhard de Chardin etc.) stellt Grün unterschiedliche Zugänge vor, um dem Göttlichen in mir selbst, aber auch im anderen, im Nächsten zu begegnen. Er schildert persönliche Erlebnisse und fundiert seine Gedanken mit Texten der Bibel. „Meine Spiritualität hat vor allem den einzelnen Menschen im Blick. Es ist eine mystische Spiritualität, die darin gipfelt, dass Gott in uns wohnt, in uns geboren wird, und dass in uns ein Raum der Stille ist, in dem das Reich Gottes in uns ist, in dem Gott in uns herrscht.“

Leonardo Boff führt diesen Ansatz im zweiten Teil weiter und beschreibt das Einwohnen Gottes in jedem Menschen mit der „Diaphanie des Kosmos“, dem Durchscheinen von Gottes Schönheit und Liebe durch alles, was existiert: „In diesem Aufeinander-bezogen-Sein offenbart sich das Zusammenwirken aller mit allen. Das ist das grundlegendste Gesetz des Universums: die Synergie, die Solidarität, die Wechselseitigkeit und das Zusammenwirken.“ Alles im Universum sei „ko-kreativ“ und „ko-partizipativ“, weshalb der Übergang von den einzelnen Teilen zum Ganzen, von den Strukturen zu den Prozessen, von den Standpunkten zu den Beziehungen dringend notwendig sei. Doch es genüge nicht, bloß die Etappen der Kosmogenese zu kennen. Wer Gott und das Heilige im Universum erspüren, fühlen und als sinnerfüllte Erfahrung wahrnehmen wolle, so Boff, der müsse die analytische und intellektuelle Vernunft um die „sensible Vernunft“ ergänzen. „Mit der Liebe, die aus der Vernunft des Herzens erwächst, setzen wir uns dafür ein, dass unser gemeinsames Haus, die Mutter Erde, für alle gleichermaßen bewohnbar wird und bleibt.“

Das in relativ großer Schrift gedruckte Buch ist leicht zu lesen. Beide Teile, die sich einander ergänzen, schließen mit weiterführenden Literaturhinweisen. Anselm Grün und Leonardo Boff vermitteln eine Vielzahl von Einsichten, die spirituell interessierten Lesern eine Fülle von Anregungen zum Mit- und Weiterdenken bieten.

Gott erfahren im Menschen und in der Welt
Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus. 2019
158 Seiten
16,00 €
ISBN 978-3-8367-0061-0

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