Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ansgar Franz / Hermann Kurzke / Christiane Schäfer (Hg.): Die Lieder des Gotteslob

Ob getauft oder nicht, ob religiös unmusikalisch oder nicht – es darf nicht fehlen und alle von Herbert Grönemeyer bis hin zur stimmlichen Meisterschaft eines Dietrich Fischer-Dieskau haben es gesungen: „Der Mond ist aufgegangen“. Es dürfte eines der bekanntesten deutschen (geistlichen) Volkslieder sein. Die stets neu besungene Bekanntheit „des Mondes“ ist im kulturellen Gedächtnis so tief verankert, dass die Verantwortlichen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) es 2017 im Reformationsgedenkjahr in kollektiver Bevormundung und entgegen viel zitierter protestantischer Mündigkeit kurzerhand umdichteten: Man erweiterte die Brüder „geschlechtergerecht“ um die Schwestern, so dass zu singen war: „So legt euch Schwestern, Brüder“. Dabei wurde verkannt, dass mit der alleinigen Verwendung der Brüder keine leiblichen Brüder gemeint sind, sondern vielmehr die Repräsentanten aller Menschen im Sinne der „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller: „Alle Menschen werden Brüder“. Man dichtete im unbändigen (leider allzu häufig theologischen) Fortschrittsoptimismus die abschließende Liedzeile „und unsern kranken Nachbarn auch“ zu einem geschlechtsneutralen „und alle kranken Menschen auch“ um. Immerhin: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach von einem „ändergendernden Kulturfrevel“ und der Verein für deutsche Sprache verlieh der EKD den Negativpreis des Sprachpanschers für das Jahr 2017.

Nicht nur die Entstehungs-, sondern auch die Überlieferungsgeschichte des Liedes „Der Mond ist aufgegangen“, letztlich jeder Choral kann spiritualitätstheologisch gesehen Bände sprechen – und ein Kulturgutschutz wäre wegen der skizzierten Abänderungswut einzufordern. Gesang- und Liederbücher sind hervorragende Dokumente, um geistesgeschichtliche Entwicklungen nachzuzeichnen. Diesem Unterfangen widmet sich seit 2009 die gemeinnützige Stiftung Gesangbucharchiv als hymnologische Forschungsstelle an der Universität Mainz. Von hier ging die Initiative aus; kundige Musikwissenschaftler, Germanisten, Liturgiewissenschaftler und Kirchenmusiker nach dem Erscheinen des neuen „Gotteslob“ (GL) in einem Sammelband die Kulturgeschichte der Choräle und ihre breitenwirkende Relevanz nachzeichnen zu lassen. Diese ausführlichen Kommentierungen mit Melodie- und Textanalysen auf über eintausend Seiten lesen sich – trotz verschiedener Autoren, aber bei gleichbleibender Grundstruktur – als spannende, wissenschaftlich fundierte Lektüre. Nicht nur „Stille Nacht, heilige Nacht“ zeigt, wie sehr das deutschsprachige Liedgut ein internationaler „Exportschlager“ war und ist. Ebenso ist gut dokumentiert, dass sich mittlerweile Lieder aus Italien, Schweden, Spanien, England im GL finden und das hiesige Liedgut bereichern.

Mit dieser Kommentierung zeigt sich ein überwältigend schönes Panorama des Glaubens (leider auch des Glaubensverlustes) und der Frömmigkeit, welche von den alttestamentlichen Psalmen über die lateinischen Hymnen der Alten Kirche, die ausmusternd-leibvergessene Aufklärung, deren Restauration im 19. Jahrhundert, die Öffnung aus konfessionellen Verengungen unter Einbezug der evangelischen Tradition bis hin zur Entstehung des jüngeren geistlichen Liedguts reicht. Hier sei bedauernd vermerkt, dass die namhaften Autoren des Bandes sich auf die großen und bekannten Choräle konzentrierten und eine wirklich substanzvolle und notwendige Kritik an den z.T. sehr dürftigen Textgehalten der neuen Lieder weniger profilierten Wissenschaftlern überlassen wurde.

Übrigens: „Der Mond (ist aufgegangen)“ leuchtet nun auch im GL: Das aufklärerische, sonnenhelle Licht der Vernunft wendet sich bereits zum Nachtgedanken. Der aufgehende Mond bestimmt die Wahrnehmung und lässt die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Wenig später wird Novalis mit seinen Hymnen an die Nacht die Abkehr von der Einseitigkeit der Aufklärung besiegeln. Er stimmt das Lied auf das Unaufklärbare, das Unsichtbare an, ja von der Einfalt des Kindes wird die Rede sein. Im „Mond“ heißt es: „Wir spinnen Luftgespinste …, wir wissen gar nicht viel..., laß uns einfältig werden…“. Auch wenn damit das Renaivisierungsprogramm der Romantik eingeläutet wurde, handelt es sich dennoch um biblisch gut begründete, jenseits von naiver Infantilität anzusiedelnde kindliche Religiosität. Mit dieser Huldigung der Nacht geht die Mystik der dunklen Nacht einher: Neben allem dunkel Unabwägbaren, Unsichtbaren und Bedrohlichen steht die Nacht ebenso für die (geistliche) Erotik. In ihr wird geliebt und das neue Leben gezeugt. Diese hoffnungsvoll-lebensspendende nächtliche Lyrik reicht von Chorälen „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, „Mein schönste Zier und Kleinod bist“ bis zum nächtlichen und doch hoffnungsvollen Abgrund von „Die Nacht ist vorgedrungen“, letzterer besungen im Zugehen auf die Heilige Nacht, der Christnacht in der Advents- und Weihnachtszeit.

Also: Postaufklärerische, genderisierende Sprachpanscherei oder doch geistliche Erotik und damit eine Wiederentdeckung aus der „Schatztruhe der Kirche“? Dieses Kompendium gehört in jede geistliche Hausapotheke!

Geschichte – Liturgie – Kultur
Mit besonderer Berücksichtigung ausgewählter Lieder des Erzbistums Köln
Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk. 2017
1314 Seiten
78,00 €
ISBN 978-3-460-42900-0

Zurück