Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Antje Mickan / Thomas Klie / Peter A. Berger (Hg.): Räume zwischen Kunst und Religion

Mit dem aktuellen Verhältnis von Kunst und Religion befasst sich der vorliegende Sammelband, der die Referate eines Workshops der Universität Rostock im März 2016 dokumentiert. Diesem wiederum liegt ein DFG-Forschungsprojekt zum Thema „Märkte des Besonderen. Religionshybride Netzwerke in Mecklenburg-Vorpommern“ zugrunde. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich die spannende Frage, welche neuen Formen von Religiosität sich im Grenzgebiet von moderner Kunst und traditionellem Glauben beobachten lassen. Denn einerseits bilden sich quasireligiöse Verhaltensweisen im Umgang mit Kunst heraus, andererseits erodieren in der ostdeutschen Provinz Mecklenburg-Vorpommern wie auch anderswo Praktiken kirchennaher Frömmigkeit.

Die Dokumentation enthält grundsätzliche theoretische Überlegungen und gibt in einem praktischen Teil Einblicke in die Praxis von Künstlerhäusern und privaten Initiativen, in denen sich Kunst und Religion begegnen. Aus der Vielfalt der Beiträge seien nur einige hervorgehoben. Uta Karstein beschäftigt sich aus kulturhistorischer Sicht mit der Arbeit protestantischer Kunstvereine im 19. und 20. Jahrhundert. Diese plädierten angesichts industrieller Massenfertigung für ein ästhetisch anspruchsvolles Kunsthandwerk in sakralen Räumen und versprachen sich davon eine positive moralische Wirkung auf die Gläubigen.

Einen interessanten Gedanken verfolgt Aida Bosch in ihrem Beitrag „Objekte zwischen Kunst und Ritual“, in dem sie dem Wert der „Dinge“ nachgeht. Der Mensch – von Natur aus ein Mängelwesen – ist auf Ergänzung durch Artefakte (z. B. Kleidung, Wohnung) angewiesen. Für die kulturelle Praxis im Allgemeinen wie für die Identitätsbildung des Einzelnen sind die „besonderen Dinge“ von eminenter Wichtigkeit. Hochwertige Artefakte werden in Museen und Sammlungen aufbewahrt, weil sie zum Identitätskern unserer Kultur gehören. Im privaten Leben können persönliche Erinnerungsstücke zu „besonderen“ Objekten, zu „heiligen“ Dingen werden, wenn sie die Wurzeln oder Wendepunkte der Biographie, wichtige Bindungen oder Einsichten repräsentieren. Sie sind mit starken Gefühlen verbunden und wichtig, weil sie zur Selbstvergewisserung und zum Aufbau einer persönlichen Identität beitragen.

„Eine Synthese aus angewandter Kunst und Trauerarbeit“ nennen Antje Mickan und Thomas Klie ihre Fallanalyse, an der sich hybride Religionsformen in exemplarischer Weise aufzeigen lassen. Eine professionelle Keramikerin entdeckt einen Markt für die individuelle Gestaltung von Graburnen und Grabzeichen. Sensibilisiert durch den Tod ihres Sohnes, absolviert sie einen Kurs in Trauerbegleitung und verbindet dann ihre künstlerische Arbeit mit dem Angebot, Hinterbliebene in ihrer Trauer zu begleiten. Dies geschieht jenseits dogmatischer Festlegungen, kann aber zu spirituellen Fragen anregen und die Grundlage zu Haltungen legen, die man im Sinne Schleiermachers – „Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche“ – als religiöse Haltungen in einem weiten anthropologischen Sinn qualifizieren kann. Leider werden in einem falsch verstandenen Bemühen um Authentizität die Interviewpassagen in der gesprochen Alltagssprache mit Versprechern, Füllwörtern etc. wiedergegeben, ohne dass dies zum Thema substantiell etwas beitrüge. Solche Marotten soziologischer Feldforschung diskriminieren in der Wahrnehmung des Lesers den auskunftsbereiten Gesprächspartner, indem sie dessen kommunikative Kompetenz und beiläufig auch seine fachliche Autorität in Zweifel ziehen.

Auf ein Problem dieses verdienstvollen Buches sei der potentielle Leser hingewiesen: das Anspruchsgefälle zwischen den Beiträgen. Während die Aufsätze des dritten Teils im Raum nachvollziehbarer Erfahrung bleiben, bereiten andere aufgrund ihres Abstraktionsniveaus und der semiotischen Begrifflichkeit erhebliche Zugangsprobleme. Dies trifft vor allem für den Beitrag von Hans-Georg Soeffner zu, der anhand von Arbeiten des japanischen Künstlers Sugimoto die wissenstheoretische Bedeutung von Erinnerungen und Vorstellungen in der ästhetischen Wahrnehmung herausarbeitet und Bausteine einer soziologischen Hermeneutik des Sehens entwickelt. Selbst geübte Leser könnten vor der elaborierten Begrifflichkeit und Subtilität der Differenzierungen zurückschrecken.

Sprechende Formen und religionshybride Praxis
Rerum Religionum. Arbeiten zur Religionskultur Band 1
Bielefeld: transcript Verlag. 2019
238 Seiten m. Abb.
39,99 €
ISBN 978-3-8376-4672-6

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