Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Anton G. Leitner (Hg.): Der Himmel von morgen. Gedichte über Gott und die Welt

„Der Himmel von morgen“ – mit dieser poetischen, einem Gedicht entnommenen Zeile hat der Autor und Verleger Anton G. Leitner seine Gedichtsammlung überschrieben. Die 100 Gedichte von 91 bekannten und weniger bekannten zeitgenössischen Dichterinnen und Dichtern drehen sich – so der reichlich dehnbare Untertitel – um „Gott und die Welt“. Zu finden sind Gedichte unterschiedlicher Länge, zumeist ungereimt, aber auch höchst formvollendete wie das Sonett „Böhmisches Wegekreuz“ (111) von Christian Lehnert; außerdem hat der Herausgeber lautmalerische und Bildgedichte berücksichtigt. Der Vielfalt der dichterischen Formen entspricht die Vielfalt der aufgegriffenen Themen.

Dass Gott längst nicht mehr das Maß aller Dinge ist, führt Richard Dove in seinem Gedicht – wirklich ein Gedicht? – „Gott gemäß Google“ (82f) vor Augen: Immerhin „ergab Gott ungefähr 139 Mio. Treffer“, weniger als „Ronaldo 157 Mio.“ und weit übertroffen von „Sex [mit] 1.760 Mio.“ Treffern. Eine Reihe möglicher Ursachen kommen zur Sprache wie das Versagen der Kirche etwa bei ihrer Missionstätigkeit in Südamerika (28) oder Afrika (29). Weit schwerer freilich wiegt der „Funktionsverlust“ Gottes: Manche halten ihn für schlicht überflüssig (12, 13, 14) oder begegnen ihm mit Gleichgültigkeit (71, 78, 84, 90). Andere basteln sich ihren eigenen Glauben zusammen, aus – so Renate Meier in „do ist yourself“ – „etwas jesus dort / ein wenig buddha / auch laotse ist fein …“ (67) Ganz anders sieht das der große Skeptiker Günter Kunert: Nach dem „Tod Gottes“ (Nietzsche) ist der Mensch ganz auf sich selbst zurückgeworfen (23, 55)!

Sollten nicht wenigstens die spärlichen Reste des Glaubens, wie Kirstin Schwab in „bitte nicht berühren“ nahelegt, bewahrt werden? „der vergilbte Umriss / des Kreuzes / lässt sich nicht / abnehmen / von der Wand // oder bist du / ein / Tapetenabreißer?“ (21) Ebenso gilt es, Voreinstellungen offenzulegen, die eine Erfahrung Gottes von vornherein verhindern; im Gedicht „Die Glut durchwühlen“ von Norbert Göttler heißt es: „Wer Sterne nach ihrer Zahl berechnet, / wird nicht den Himmel finden, / sondern an der Unendlichkeit verzweifeln.“ (103) So verwundert es nicht, dass einige Poeten den Zweifel (17), das Suchen (10, 50f, 98) und die Erwartung (121) loben sowie die Stille preisen (50f, 100).

Einige Dichter gehen noch weiter: Mit „gebet“ hat Andreas Peters diese Zeilen überschrieben: „gönne / mir / das / wort / gott. / ich / gönn / dir / das / wort / gott.“ (63) Die Gedichte von Martin Arndt (106) und Augusta Laar (117) sind moderne Gebete, das von Wolf-Dieter Grengel endet überraschend mit den Worten „An manchen Tagen denke ich / … / dass Gott etwas Neues erfahren will / heute / über sich / in mir.“ (68).

Die „Gedichte über Gott und die Welt“ befassen sich darüber hinaus mit dem Tod, der Bibel und einigen Sakramenten. Mit einem zarten Lächeln schreibt Tanja Dückers über die tote Großmutter (37), mit großem Ernst Walle Sayer über den technisch verlängerten Tod im Krankenhaus (92). Mehrere Gedichte widmen sich biblischen Gestalten wie Isaak und Ismael (25), Rahel (26), Amos (33) und Jona (105). Darüber hinaus werden die Taufe (mit einem lustigen Gedicht 38), die Eucharistie (49) und die Beichte thematisiert.

Zum Nachdenken fordert Gerhard Rühms mit dem kurzen Gedicht „ewigkeiten“ auf: „das ewige eis ist geschmolzen / die ewigen wälder abgeholzt / das ewige leben zu kurz“ (65); „Ewigkeit“ – was eigentlich meinen wir, wenn wir von „ewig“ reden? In dem ebenso verknappten Gedicht „Decharge“ gibt Markus Bundi zu bedenken: „Einmal angenommen / das Helfen beim Tragen / der Kreuze anderer / erleichtere den aufrechten Gang.“ (119) Der gedankliche Bogen zum christlichen Verständnis des Kreuzes liegt nicht fern.

Bei allem Lob für die Sammlung vermisst der Rezensent eine Begründung für die Auswahl der Gedichte: Warum diese Autorinnen und Autoren – und nicht beispielsweise Gedichte von Silja Walter, Kurt Marti oder Lothar Zenetti? Das Fehlen näherer Angaben zu Person und Werk der ausgewählten Dichterinnen und Dichter und dem Erscheinungsjahr der Gedichte muss bei einem Verlag wie Reclam sehr verwundern. Beide Monita lassen sich in einer zweiten Auflage beheben.

Stuttgart: Philipp Reclam Verlag. 2018
136 Seiten
10,00 €
ISBN 978-3-15-011051-5

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