Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Arnold Angenendt: „Lasst beides wachsen bis zur Ernte ...“

Der emeritierte Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt ist bekannt für seine religionsgeschichtlich orientierten Zugänge zur Geschichte des Christentums. Daher hat er sich in den letzten Jahren den Konzepten von Ehe, Liebe und Sexualität oder demjenigen des Opfers gewidmet. In seiner jüngsten Monographie geht er nun dem Begriff der Toleranz nach. Der Titel deutet das zentrale Motiv seiner Darstellung an, das neutestamentliche Gleichnis von Unkraut und Weizen, in dem der Grundbesitzer ebendiese Weisung an seine Arbeiter geben lässt (vgl. Mt 13,30).

In der Tat erfuhr dieses Gleichnis über die Jahrhunderte hinweg unterschiedliche Auslegungen und spielte immer wieder eine Rolle in den Diskursen um „Toleranz“. Gut die Hälfte des Buches widmet der Historiker daher dem biblischen Befund sowie der Frage nach dem Umgang mit der religiösen Alterität in Antike und Mittelalter. Zentral ist dabei die Frage, ob man gegen Häretiker (und Andersgläubige) Gewalt anwenden dürfe. Angenendts Ansatz wird vielleicht am deutlichsten, wo er von den mittelalterlichen Rechtfertigungen für Gewaltanwendung spricht. Knapper und weniger tiefgründig fallen die folgenden Kapitel zu Reformation, Aufklärung und Moderne aus, denen ein knappes Schlusskapitel folgt.

In der Tat ist die Kürze ein Nachteil des Buches. Denn in aller Regel fehlt für viele Informationen der weitere Kontext, was bei weniger bewanderten Lesern zu Missverständnissen führen mag. Dies gilt beispielsweise für Laktanz, der die Rolle eines altkirchlichen Kronzeugen für die Toleranz bekommt (32f.). Freilich nimmt Laktanz für die verfolgten Christen Stellung, nicht für allgemeine Religionstoleranz. Immerhin angedeutet wird diese Ambivalenz für Ambrosius von Mailand. Auch bei der Behandlung des Täufertums im 16. Jahrhundert, den Regelungen des Edikts von Nantes (1598) und des Westfälischen Friedens (1648) sowie den theologischen Strömungen der Aufklärungsepoche wären Kontextualisierungen hilfreich gewesen.

Problematischer scheint jedoch eine wenig differenzierte Verwendung der Begriffe, beginnend beim Zentralbegriff „Toleranz“. Denn der vormoderne Verzicht auf Gewalt gegenüber Häretikern, der seinerseits die klare Unterscheidung und Bewertung von wahr und falsch voraussetzt, ist zu unterscheiden von der postmodernen Toleranz, die von der Pluralität grundsätzlich gleichwertiger Geltungsansprüche ausgeht. Gleiches gilt etwa für den Begriff der Menschenwürde (vgl. 141).

Generell lassen sich qualitative Abstufungen feststellen: Während Angenendt für das Mittelalter fraglos allerhöchste Kompetenz besitzt und aus einem lange und gut durchdachten Fundus an Argumenten schöpft sowie sich für die Frühzeit des Christentums als hochkompetent erweist, fallen die Kapitel zur Neuzeit deutlich schwächer aus. Besonders bedauerlich ist dies bei seiner Argumentation gegen die von Ernst-Wolfgang Böckenförde und namentlich nicht genannten Zeithistorikern propagierte „kopernikanische Wende“, die die Kirche mit der Anerkennung der Religionsfreiheit im Dekret Dignitatis humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils vollzogen habe. So richtig und wichtig es ist, diese Wende nicht ausschließlich auf äußere Faktoren zurückzuführen (hier teile ich Angenendts Skepsis), so wichtig wäre es doch, gerade den innerkatholisch vor dem Konzil gedachten Argumenten nachzugehen und sie zu benennen. Auf diese Weise würde die Kritik an der Forschung fundierter ausfallen, als es im vorliegenden Buch geschieht.

All diesen Kritikpunkten zum Trotz hat Arnold Angenendt ein Buch geschrieben, das nicht nur die Lektüre, sondern auch die Vertiefung lohnt. Er hat damit (wiederum) ein Lehrstück vorgelegt, wie die Geschichte des Christentums und seiner Theologie so geschrieben werden kann, dass sie Relevanz für die Gegenwart besitzt. Denn angesichts einer Bestreitung der Gültigkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils aus ultrakonservativen Kreisen sowie einer Berufung auf das „christliche Abendland“ im äußersten rechten politischen Spektrum besitzt das Thema höchste Aktualität und Brisanz. Angenendts engagierte Geschichtsschreibung zeigt, dass die Geschichte des Christentums keine simple Fortschrittsgeschichte ist. Für Zeitgenossen heute gibt es daher keinen Grund, sich moralisch über die Christen vergangener Jahrhunderte zu erheben.

Toleranz in der Geschichte des Christentums
Münster: Aschendorff Verlag. 2018
243 Seiten
17,90 €
ISBN 978-3-402-13246-3

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