Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Asfa-Wossen Asserate: Den Glauben zur Vernunft, die Vernunft zum Glauben bringen

Der Titel des vorliegenden Bandes ist missverständlich. Denn es geht nicht um die wechselseitige Herausforderung von Glaube und Vernunft, sondern um die gegenseitige Begrenzung ihrer möglichen Exklusivitätsansprüche. Der Autor ruft nämlich den berühmten Satz Friedrichs des Großen in Erinnerung, dass jeder Mensch nach seiner Fasson soll selig werden können. Damit ist die Unterscheidung zwischen einem öffentlichen Leben, das durch die Regeln einer jedermann zugänglichen Vernunft geprägt wird, und einer privaten Religiosität formuliert. Letztere darf in dem Maße öffentliche Geltung beanspruchen, wie sie das öffentliche Miteinander nicht stört oder gar die ihm zu Grunde liegenden Tugenden sogar fördert. Damit ergeht im Namen des öffentlichen Friedens an die Religionen die Forderung, ihre etwaigen absoluten Wahrheitsansprüche im öffentlichen Raum zu relativieren und zu einer entsprechenden Haltung der Toleranz zu gelangen.

Bis hierhin ist diese Position nicht neu und fasst nur zusammen, was als grundlegende Überzeugung der Aufklärung gelten muss und sich beispielhaft in Lessings Ringparabel verdichtet hat. Neu ist jedoch das Bemühen, diese Tradition angesichts dessen zu aktualisieren, was Horkheimer und Adorno die „Dialektik der Aufklärung“ genannt haben und was die Moderne an säkularen Heilsversprechungen hervorgebracht hat. Hier macht der Autor darauf aufmerksam, dass der Illusionsverdacht, den der Atheismus von Marx und Engels gegenüber der Religion geäußert hat, in mindestens gleichem Maße auf ihn selbst zurückfällt und auch der angebliche religiöse Bekehrungswahn heute in säkularer Gestalt fortlebt. So vermag der Autor sich nicht einer gegenwärtig aktuellen Monotheismuskritik anzuschließen, die gleichzeitig im Polytheismus ein noch zu aktualisierendes Friedenspotential vermutet. Vielmehr habe der Monotheismus eine privative Gestalt, welche jegliche Verabsolutierung dessen verbiete, was uns in der Welt begegne, und der Polytheismus werde nicht friedlicher dadurch, dass der Kriegsgott in verschiedenen Religionen nur unterschiedliche Namen habe. Schließlich findet auch eine von der Vernunft entworfene Religion nicht die Zustimmung des Autors, denn eine solche verweigere sich dem menschlichen Bedürfnis nach Spiritualität und Gebet.

So gelangt er dann doch wieder zu der genannten Toleranzforderung, spürt in dieser aber ein unterschwelliges Dogma auf, das da lautet: „Das muss jeder für sich selbst entscheiden.“ Er unterscheidet nämlich zwischen einer Toleranz der Gleichgültigkeit, die sich für das Andere nicht weiter interessiert und es womöglich nur als Übel erträgt, und einer Toleranz der Anerkennung, die es als Herausforderung oder gar als Bereicherung wahrnimmt. An dieser Stelle gelangt nun die Vernunft als kritische Instanz ins Spiel. Sie hat die Gründungs- und Überlieferungsdokumente einer Religion kritisch zu durchleuchten, um einerseits ihre etwaigen Gewaltpotentiale zu kontrollieren und andererseits ihre Fähigkeit zur Toleranz – im positiven Sinne des Wortes – freizulegen.

Allerdings sieht der Autor deutlich, dass es Grenzen der Toleranz gibt und Gewalt und Intoleranz ihrerseits nicht Gegenstände einer Toleranzforderung werden dürfen. Dann aber muss man etwas zugestehen, was das vorliegende Buch nicht mit der gebotenen Deutlichkeit thematisiert: Auch die geforderte Toleranz der Anerkennung hat ihre Dogmen, und der kritisierte Satz „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“ ist nicht nur das Dogma der Gleichgültigen, sondern markiert den Punkt, wo jeder Mensch eine Entscheidung treffen muss, die ihm keiner abnehmen kann.

Überraschenderweise geht das Buch gar nicht darauf ein, dass der christliche Glaube von Anfang an die Herausforderung der Vernunft gesucht und angenommen hat. Es ist unverständlich, dass es der Lüge vom „finsteren Mittelalter“ und seiner Erkenntnisfeindlichkeit aufsitzt – so als hätte es die Leistungen mittelalterlicher Theologie und die Kathedralschulen, aus denen die ersten Universitäten hervorgegangen sind, nicht gegeben. Es fügt sich einem intellektuellen Mainstream ein, wenn es suggeriert, das Christentum hätte in seiner Geschichte erst einmal zur Vernunft gebracht werden müssen, während der Islam die in seiner Geschichte entwickelten Vernunftpotentiale nur wieder neu entdecken müsste. So münden die hier vorgetragenen Überlegungen in die offenen Fragen, welche Überzeugungen als Grundlage von Toleranz und gesellschaftlichem Frieden unbedingte Anerkennung verlangen und was die Religionen zur Entstehung und Erhaltung solcher Überzeugungen beizutragen vermögen.

Berlin: Nicolai-Verlag. 2018
77 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-96476-014-2

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