Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bernhard Grümme / Gunda Werner (Hg.): Judith Butler und die Theologie

Die amerikanische Philosophin Judith Butler zählt zu den profiliertesten Denkerinnen poststrukturalistischer Theorien. In ihrem Denken fordert Butler heraus. Ihre Reflexionen über zentrale Begriffe wie Diskurs, Dekonstruktion, Performativität oder Körperlichkeit erfordern es, lieb gewonnene Denkgewohnheiten zu überprüfen und neue Möglichkeiten der Weltwahrnehmung zuzulassen. Ihr Band „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990) wurde zu einem Schlüsselwerk moderner feministischer Theorie, ihre Abhandlungen „Körper von Gewicht“ (1993) und „Hass spricht“ (1997) loten unter anderem in der Rezeption von Michel Foucault und John Austin unhintergehbar die Bedingungen und Möglichkeiten von Identitätskonstruktionen und Sprechakten aus. Das Werk von Judith Butler ist so wohltuend provozierend wie faszinierend.

Der Bochumer Religionspädagoge Bernhard Grümme und die Grazer Dogmatikerin Gunda Werner wagen es in einem umfangreichen Sammelband, die Theorien Butlers in einen Dialog mit der Theologie zu bringen. „Judith Butler und die Theologie. Herausforderung und Rezeption“, so der nüchterne Titel des 2020 im transcript-Verlag veröffentlichte Band. Dabei betritt die von Bernhard Grümme und Gunda Werner verantwortete Publikation kein völliges Neuland, so werden die Theorien von Butler bereits seit mehreren Jahren innerhalb der Theologie durch verschiedene Einzelstudien bedacht. Der Wert der nun vorliegenden Studie liegt in der Breite der Gesamtanlage des Bandes. Nach einer fundierten Einleitung, die zunächst konturenhaft das Denken Butlers umkreist und die Ausrichtung und Zielsetzung des Sammelbandes erläutert, ist es ein Fünfschritt, der dem Band zugrunde liegt.

Zunächst werden praktisch theologische Erkundungen angestellt, die die Theorien von Butler in der Religionspädagogik, in der Pastoral, in juristischen Kontexten oder der Liturgiewissenschaft reflektieren. In einem zweiten Schritt wird Butlers Philosophie mit biblischen Perspektiven in ein Gespräch gebracht. Dimensionen von Empathie oder die Gefährdungen des Lebens stehen dabei im Mittelpunkt der Überlegungen. Umfangreich umfasst der dritte Schritt systematisch-theologische Zugänge zum Werk Butlers. Hierbei werden starke Überlegungen zu einer satisfaktionsfähigen Subjettheorie oder zur Bedeutung des Normativen im Hinblick auf einen Traditionsbegriff im Anschluss an Butler angestellt. Besonders bereichernd ist der vierte Schritt des Sammelbandes, der religionsphilosophische und interkulturelle Perspektiven in den Blick nimmt. Dieser Zugang erweist sich gleichermaßen als innovativ wie produktiv, wird hier das „Zwischen“ oder das „Mehr“ in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt, das sich für eine aufgeschlossene Theologie, als kreative Rede von Gott, als besonders fruchtbar erweisen kann. Der fünfte und letzte Schritt umfasst eine theologiegeschichtliche Perspektive auf die Theorien Butlers. Dabei stehen die protestantische Kirchengeschichte sowie die Gender-Rezeption in der römisch-katholischen Kirche im Fokus. Eine gleichermaßen resümierende wie Horizonte eröffnende Konklusion schließt den Band ab. Im Verlauf des Bandes werden die unterschiedlichen Disziplinen der Theologie durch deren Vertreterinnen und Vertreter an verschieden Universitäten in Dialoge mit den Denkweisen und Erkenntnissen Butlers gebracht. So wird der Sammelband zu einem vielstimmigen und sehr bereichernden Beitrag für die theologische Forschung.

Butlers Theorie greift auf die Annahme der Wirkmächtigkeit von Diskursen zurück und entfaltet Reflexionen über die performative Kraft von Sprache. Dass die Welt veränderbar ist, ihre Prozesse stetig auszuhandeln sind und die eigene Wahrnehmung geschärft sein sollte, um sprachliche Macht als entscheidendes Konstruktionsprinzip von Wirklichkeit zu sehen, kann als notwendiger Impuls von Butler angesehen werden, den „Judith Butler und die Theologie. Herausforderung und Rezeption“ immer wieder starkzumachen versucht. Die Frankfurter Erklärung „Für eine synodale Kirche“ sprach jüngst von einem Kairos, in dem sich die derzeitigen Entwicklungen der Kirche ereignen. Bereichernd kann es für Theologie und Kirche sein, im Verlauf dieses Kairos die Gedanken von Butler über Macht, Subjekt und Körperlichkeit ernst zu nehmen. Der Sammelband gibt dazu vielfache Anregungen, die darauf warten, in konkrete Praxis umgesetzt zu werden.

Herausforderung und Rezeption
Bielefeld: transcript Verlag. 2020
314 Seiten
40,00 €
ISBN 978-3-8376-4742-6

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