Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Bernward Schmidt: Kirchengeschichte des Mittelalters

Die „Kirchengeschichte des Mittelalters“ erscheint in der Reihe Theologie kompakt der WBG und bildet den Startpunkt eines vierbändigen kirchenhistorischen Einführungswerks. Im vorliegenden Band wird prüfungsrelevantes Basiswissen der 1000 Jahre umfassenden Geschichte des Mittelalters (500-1500 n.Chr.) in reduzierter Form aufgearbeitet. Da das Werk dem didaktischen Konzept der Elementarisierung folgt, enthält es keine Gesamtschau des Mittelalters, sondern bietet einen Einblick in die Epoche mittels eines europazentrierten Grundgerüsts. Die Wissensvermittlung erfolgt über traditionelle Schwerpunkte wie Christianisierung Europas, Konflikt zwischen Regnum und Sacerdotium, Armutsbewegungen, Kreuzzüge und Inquisition. Zusätzlich werden weitere interessante Themen behandelt, die erst seit wenigen Jahren verstärkt in den Fokus der historischen Theologie geraten. Dazu gehören Aspekte der Frömmigkeitsgeschichte in Bezug und in Abgrenzung zur mittelalterlichen Theologie sowie kirchengeschichtliche Entwicklungen im Spätmittelalter. Der Aufweis des Neben-, Mit- und Gegeneinanders divergierender Theologien wie Scholastik und Mystik ermöglicht ein breiteres Verständnis der Epoche.

Neben den leicht verständlichen inhaltlichen Ausführungen bieten Kästchen mit Quellen, Abbildungen, Stichwort-Definitionen, Zeittafeln und Kartenmaterial vertiefende Orientierungspunkte. Um einem weiterführenden Interesse der Leser begegnen zu können, erleichtern kommentierte Literaturhinweise knapp und informativ die anschließende Recherche. Leider bietet das angekündigte Zusatzmaterial auf der Homepage der WBG gegenüber dem Buch keinen Mehrwert, denn es werden lediglich die in den Kästchen aufgeführten Stichwortdefinitionen und die Quellentexte wiedergegeben. Dabei findet nicht einmal ein Verweis auf die im Druckwerk befindliche Seite statt, auf der die entsprechende Quelle oder das Stichwort erscheint.

Inhaltlich ist das Buch jedoch durchweg interessant gestaltet und hält in begrüßenswerter Weise neue Blickwinkel und Thesen bereit. So gibt Schmidt etwa zum sogenannten „Investitur“-Streit zu bedenken: „Zum eigentlichen Vorwurf des Papstes an Heinrich IV. wurde also nicht das Vorgehen bei der Bischofseinsetzung, sondern der nach dem Kirchenrecht verbotene Umgang mit Exkommunizierten.“ (45) Zudem sensibilisiert Schmidt für den Umgang mit Begrifflichkeiten wie zum Beispiel „Gegenpapst“, der die Legitimität eines Prätendenten voraussetze, die aber weder zeitgenössisch noch gegenwärtig feststellbar sei und sich erst im Nachhinein durch das politische Durchsetzungsvermögen eines Kandidaten ergeben habe. Auch die Kritik des Autors an der traditionellen Beginenforschung, die zu sehr einen vermeintlichen Emanzipationsdrang der Frauen belegen wolle statt das äußere Ansehen dieser Frauen wegen ihrer religiös-caritativen Tätigkeit im Rahmen zunehmender Urbanisierung im Blick zu haben, ist ein wichtiger und bedenkenswerter Aspekt. Eine solche Vorgehensweise kann bei dem Leser den Sinn dafür schärfen, dass Geschichtsbilder immer auch von vergangenen wie gegenwärtigen Diskursen geprägt sind und stets reflektiert angefragt werden müssen. 

Ein gänzlich neuer Sachverhalt, der bislang in Überblickswerken zur Kirchengeschichte fehlt, jedoch gleichzeitig von kaum zu überschätzender interreligiöser Bedeutung ist, ist der Einbezug eines speziellen Genres mittelalterlicher Theologie: die Religionsdialoge (z.B. von Abaelard oder Ramon Llull). Sie erhellen die Möglichkeiten, die es bereits im mittelalterlichen Gespräch zwischen den Religionen gab. Im letzten Kapitel (XI. Die mittelalterliche Reformation – ein Ausblick) schärft Schmidt das Bewusstsein für die notwendige Rückbindung der Reformation an mittelalterliche Prämissen. Es bleibt zu wünschen, dass dies im noch nicht veröffentlichten Band zu Reformation und Konfessionellem Zeitalter entsprechend aufgegriffen und nutzbar gemacht wird, denn allzu oft begegnet die gegenwärtige Medienlandschaft dem Reformator Martin Luther wie einem Aufklärer oder sogar einem Mann der Moderne.

Insgesamt fällt bei aller lobenswerten Berücksichtigung des facettenreichen Themenpanoramas auf, dass sich dennoch die institutionen- und ereignisgeschichtliche Versiertheit des Autors allzu sehr in der Wahl der Schwerpunkte des Buches niedergeschlagen hat. Neben der deutlichen kirchenpolitischen Ausrichtung kommen frömmigkeitsgeschichtliche Aspekte bisweilen zu kurz. Bedauerlich ist, dass geschlechtersensible oder alltagsgeschichtliche Perspektiven weitgehend ausgeblendet bleiben, die mittlerweile aber durchaus zum Grundbestand knapper Einführungswerke dazugehören. Dennoch ist der kompakte und gleichzeitig profunde Überblick für Studierende, Lehrer und interessierte Laien zur ersten Annäherung an das kirchliche Mittelalter sehr empfehlenswert.

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2017
160 Seiten m. s-w Abb.
19,95 €
ISBN 978-3-534-26877-1

 

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