Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Charles de Foucauld: Allen ein Bruder

Der selige Charles de Foucauld, der von 1858 bis 1916 lebte, zeigte in seinem Denken und Glauben mögliche Wege geistlicher Vertiefung auf. Aufrichtig demütig zu sein, war sein Ziel. Er suchte den „letzten Platz“ in dieser Welt und wollte – in der Nachfolge Christi – ein „Unbekannter“ sein, „zu den Verlassensten“ sich begeben, nach Marokko und Nordafrika.

Die Menschen dort begegnen ihm sehr offen und mit großem Vertrauen. Er bewundert die Schönheit der Natur, die Schöpfung, das Heilige Land und den Nahen Osten. In jedem Lächeln, das ihm geschenkt wird, erkennt er Gottes Spuren. 1897 schreibt Charles eine kleine Betrachtung in Nazareth: „Jeder Arme, jeder Bedürftige, jeder Betrübte, jeder Leidende ist Jesus!“ Mit zärtlicher Emphase sieht er das Antlitz Christi in seinem Nächsten. Mit Zuneigung und Herzenswärme bewegt er sich auf die anderen zu, ob gläubig oder nicht. Wer Menschen liebt, so sagt Charles de Foucauld, der ist auch fähig, Gott zu lieben. Unmöglich sei es, Gott zu ehren und zu lieben, ohne die Menschen lieben zu wollen. Am 7. November 1892 schreibt er: „Die Frömmler, die Gott lieben wollen, ohne die Menschen zu lieben, träumen einen Unsinn.“

Wenn wir die existenziell kolorierten Betrachtungen von Charles de Foucauld studieren, entsteht ein anderes, ein neues, lebendiges Bild von Kirche, das uns heute spirituell beflügeln kann. Der Geist eines Evangeliums der Güte scheint auf in den Darlegungen, die brieflich und so oft beiläufig von ihm werden notiert. Immer wieder wünscht sich Bruder Karl Einfachheit. Geistliche Stärkung erwächst nicht aus vielen Worten, vielleicht aber aus einem „schweigenden Aufblick zu Gott“ und einer „schweigenden Gefühlsbewegung des Vertrauens“. Auch von Anfechtung, Zweifel und Glaubenskrisen spricht Charles de Foucauld. Sein Weg führt durch Betrübnisse und in manche Seelenfinsternis. Doch dem Evangelium Jesu Christi bleibt er treu. Die Frohe Botschaft lehrt ihn, „dass alles in die Liebe einbezogen werden muss“ – alles und alle. Er lernt in Afrika die Sprache der Tuareg, als er von 1904 bis 1916 als Priester unter ihnen lebt. Am 1. Dezember 1916 wird Charles de Foucauld in Algerien, in der Klause von Senussi, im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg ermordet.

Sein Vermächtnis wird heute von vielen Menschen weitergetragen – darunter die Geistliche Familie der Kleinen Schwestern und Kleinen Brüder –, die sich von seinem Schrifttum und dem Beispiel seines Lebens inspirieren und erfüllen lassen. In diesem Buch werden Passagen aus den Schriften und Briefen thematisch geordnet, um mögliche geistliche Wege in unserer Zeit aufzuzeigen, nicht mahnend und streng, sondern einladend, liebevoll und freundlich. Gottes Güte leuchtet aus den Schriften von Charles de Foucauld hervor. In seinem letzten Lebensjahr schrieb er im Tagebuch: „Wenn man von Jesus erfüllt ist, ist man voller Liebe. Man geht zu denen, deren Heil man möchte, so wie Jesus es in seiner Menschwerdung getan hat. Man tut eilig das Gute, denn die Liebe drängt und will keine Verzögerung.“ Drängen heißt nicht bedrängen oder aufdrängen, sondern gütig zu schenken. Von innen her bewegt von Gottes Liebe hat Charles de Foucauld durch das Zeugnis seines Lebens und seine Schriften das Evangelium von der Güte glaubwürdig verkündet. Allen, die den Priester, Mönch und Eremiten, dessen bevorstehende Heiligsprechung von Papst Franziskus am 3. Mai 2021 im Konsistorium bekanntgegeben wurde, näher kennenlernen möchten, sei dieses Buch zur Lektüre und Betrachtung empfohlen.

Passwörter einer Spiritualität für unsere Zeit
Herausgegeben von einer Gruppe Kleiner Schwestern und Kleiner Brüder
Aus dem Französischen von Marianne Bonzelet mit Mitgliedern aus der Geistlichen Familie
München: Verlag Neue Stadt. 2020
191 Seiten
18,00 €

ISBN 978-3-734631214-5

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