Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christian Lehnert: Gebete der Menschheit

Philosophie und Theologie reden überGott, das Gebet zu Gott. Es ist ein Vollzug – alleine im persönlichen Gebet oder gemeinsam in der Liturgie. Das weiß der evangelische Theologe, Librettist und preisgekrönte Lyriker Christian Lehnert, dessen Sammlung „Gebete der Menschheit“ in keinem theologischen Verlag, sondern in der bibliophilen „Insel-Bücherei“ erschienen ist. Ihm geht es um den „semantischen Raum“ bzw. den „Biotop“ (127), in dem das Gebet seinen Ort hat, sowie um seine Nähe zum Gedicht, sind doch „beide an der Grenze der vertrauten Sprache unterwegs und erkunde[n] Räume, wo die Worte noch fehlen“ (128f). In zehn Abschnitte gliedert Lehnert seine ebenso subjektive wie anregende Auswahl von 60 Gebeten aus unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Zeiten (9-101); hinzu kommen als Verständnishilfen informative, (etwas zu) knappe Anmerkungen (103-122) und ein lesenswertes Nachwort (123-135), dessen Titel „Gehe hinüber“ das Programm der Gebetsammlung bezeichnet. Einige subjektive und ein wenig systematisierte Leseeindrücke, die vielleicht nicht nur für den Rezensenten von Interesse sind, werden im Weiteren genannt.

Czeslaw Milosz sieht im Gebet eine „samtene Brücke“ (13). Da ist der Beter, der um die richtigen Worte ringt – wie etwa Paulus „… wir wissen nicht, / was wir beten sollen, / wie sich‘s gebührt ...“ (14 [Röm 8,26]) – oder – wie Fénelon „Lehre mich beten, / bete du in mir“ (77) – um die richtigen Worte bittet. Denn der wahre Name des Adressaten, so Laudse, ist verborgen: „nennbar der name / doch nicht der ewige name“ (23), weshalb alles Sprechen vorläufig bleibt; im „Gesang vom Urgrund“ der Upanischaden heißt es: „Was Sprache nicht benennen kann, / Doch was das Sprechen sprechen läßt, / Nur das, so wisse, ist der Urgrund, / Nicht das, dem man hier huldigt.“ (43) Das Transzendente, auf das die Gebete dieser Sammlung abzielen, ist kein „lieber“ Eiapopeia-Gott, und der Weg, auf den sich die Beter einlassen, bleibt ohne Geländer.

Franziskus betet: „… kein Mensch ist würdig, dich zu benennen“ (18), um im gleichen „Sonnengesang“ die göttliche Schöpfung in ihrer Ordnung und Schönheit zu preisen. Beter bitten – wie in der ersten Sure des Korans – um „den richtigen Weg“ (66) oder – wie im „Wessobrunner Schöpfungsgebet“ – um „… rechten Glauben / und guten Willen Weisheit Klugkeit und Kraft, / den Teufeln zu widerstehen und Böses zu meiden ...“ (16), weil sie – wie Fénelon – wissen: „Du siehst, was ich brauche und nicht erkenne.“ (77)

In Paul Gerhards „Weihnachtslied“ weiß sich der Beter immer schon von Gott erwählt. „Da ich noch nicht geboren war, / Da bist du mir geboren / Und hast mich dir zu eigen gar, / Eh ich dich kann, erkoren.“ (52) Freilich gibt es auch die gegenteilige Erfahrung der Gottesverlassenheit, die der Mystiker Symeon ins Gebet bringt: „Komm, der du mich abgesondert und einsam auf Erden gemacht hast.“ (86) Beeindruckend ist auch das Gedicht „Brevier“ von Zbigniew Herbert, der sein als unvollendet erfahrenes Leben vor Gott bringt (94).

Nicht zu vergessen sind die acht farbigen, höchst kunstfertigen Bilder von Michael Triegel, die bei allem Realismus so viele Fragen aufwerfen, dass sie ihren Realismus wieder aufgeben. Gebete und Bilder laufen auf die Zeilen von Angelus Silesius hinaus, die Christian Lehnert an das Ende seiner Sammlung gestellt hat: „Freund, es ist auch genug. Im Fall du mehr willst lesen, / So geh und werde selbst die Schrift und selbst das Wesen.“ (101) Mehr bleibt nicht zu sagen.

Ausgewählt, erläutert und mit einem Nachwort von Christian Lehnert
Mit Bildern von Michael Triegel
Berlin: Insel Verlag. 2019
143 Seiten m. farb. Abb.
15,00 €
ISBN 978-3-458-19470-5

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