Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christoph Markschies: Gottes Körper

Der Titel befremdet. Gott hat natürlich keinen Körper, sondern ist reiner Geist nach der Lehre sämtlicher monotheistischer Religionen. Doch halt: Nach christlichem Verständnis hat er sich inkarniert und wird in der Kunst dargestellt. Und die griechisch-römische Religion? Zeus/Jupiter hat diverse Halbgötter gezeugt – wie denn, wenn nicht mit einem Körper? Der Professor für antikes Christentum der Humboldt Universität Berlin Christoph Markschies hat also kein abseitiges, sondern ein zentrales Thema der Religionsgeschichte und Frömmigkeit aufgegriffen und enzyklopädisch bearbeitet.

In sieben Kapiteln stellt er kundig und umfassend den Körper Gottes nach dem Ende der Antike, in der jüdisch-christlichen Bibel und bei den frühen christlichen Theologen, bei antiken Götterstatuen, im Verhältnis zu den Körpern der Seelen in der Spätantike und zur spätantiken jüdischen Mystik dar. Er fragt außerdem nach dem Körper Göttes in der spätantiken christlichen Theologie und schließlich in seinem Verhältnis zur antiken Christologie. Wen diese Themen nicht interessieren, kann an dieser Stelle getrost aufhören zu lesen.

Die Wenigsten werden das Buch ganz lesen, auch wenn der eigentliche Text ohne Endnoten und Literatur nur 431 Seiten umfasst und obwohl es nebenbei die gesamte Religionsgeschichte des alten und antiken Orients mitverarbeitet. Wer Grundsatzliteratur lesen möchte, ist mit dem Buch gut bedient. Was bringt es aber zu seinem eigentlichen Thema?

Auch wenn uns das Judentum als Wiege des Monotheismus geläufig ist, transportiert der Tenach doch die materialistischen Vorstufen dieses Glaubens: „Die hebräische Bibel spricht von einem JHWH in Hebron (2 Sam 15,7) und einem JHWH in Zion (Ps 99,2) und eine Stele in Bethel wird „in gewisser Weise als Sitz eines als Materie in Raum und Zeit gedachten Gottes angesprochen“ (50). Das Fazit lautet, „dass sowohl die Hebräische Bibel als auch ihre griechische Übersetzung durch eine reiche Verwendung von Körperbegriffen für Gott charakterisiert sind, die ursprünglich nicht allegorisch oder metaphorisch gemeint waren“ (52).

Natürlich darf in einer solchen Arbeit die erste Kritik an der menschenähnlichen Körperlichkeit Gottes nicht fehlen. Sie stammt nicht aus der jüdischen Tradition des Bilderverbotes, sondern vom griechischen Philosophen Xenophanes: „Doch wenn die Ochsen und Rosse und Löwen Hände hätten oder malen könnten mit ihren Händen und Werke bilden wie die Menschen, so würden die Rosse rossähnliche Göttergestalten malen und solche Körper bilden wie jede Art gerade das Aussehen hätte.“

Platon entwickelt diese schwer von der Hand zu weisende Einsicht weiter zu einem rein geistigen körperlosen Gott; diese Vorstellung sollte sich religionshistorisch durchsetzen und in allen monotheistischen Religionen kulturbildend sein. Für Christen und Juden noch prägender war jedoch Philo von Alexandrien: „Weder hat Gott eine menschliche Form, noch ist der menschliche Körper gottgleich“ (64), schreibt er. Wenn Markschies andere, vom Christentum „verdrängte“ antike Philosophien betrachtet, kommt der Leser aus dem Staunen nicht mehr heraus. Denn ähnlich wie Jan Assmann den Polytheismus als angeblich weniger gewaltförmige Gestalt der Religion aufs Schild hob (und das später revidieren musste), bricht der Verfasser zunehmend eine Lanze für Philosophien und Religionen, welche von einer göttlichen Körperlichkeit ausgehen, ohne die Problemlage systematisch zu reflektieren. Es kommt ihm nicht in den Sinn, dass sich historisch vielleicht die plausiblere Gottes-Vorstellung durchgesetzt haben könnte: Wo sollte ein körperlich gedachter Gott hausen und wie sollte er ewig und allmächtig – also göttlich – sein? Der Historiker Markschies kann sich das Ganze nur historisch erklären: „Man darf vermuten, dass Gott in der kaiserlichen Antike mindestens auch deswegen gleichsam um seinen Körper gebracht werden konnte, weil die epikureische Philosophie ein solches Konzept vertrat.“ (72)

Was ist die Intention und der Ertrag des umfangreichenden Buches? „Der in den biblischen Schriften bezeugte Gott kann nicht ohne substanzielle Verluste auf ein körperloses, schlechthin transzendentes Wesen reduziert werden, wie die Tradition einer von platonischer Philosophie geprägten Bibel-Interpretation schon in der Antike üblich ist.“ (419) Dass sich Markschies in einer offenbar anstehenden innerprotestantischen und jedenfalls verspäteten Debatte am insgesamt unangemessenen „Mythos-Begriff“ Rudolf Bultmanns abarbeiteten muss, sei eingeräumt. Und es spricht für die Belesenheit und ökumenische Offenheit des Verfassers, dass er die Wiedergewinnung der nicht platonistisch und neuthomistisch verstellen antiken Theologie bereits in der Nouvelle Theologie (und ihrer deutschsprachigen Rezeption durch Hans Urs von Balthasar) Mitte des 20. Jahrhunderts geleistet sieht. Es ist außerdem ein Verdienst von Markschies, die Wirksamkeit der christlichen Leibverachtung, die aus einer übertriebenen Mythen- und Körperkritik bestimmter philosophischer Strömungen und ihrer theologischen Rezeption entsprang, endlich auch als protestantisches Problem zu benennen (wenngleich eine entsprechende Kritik reformatorischer Schriften fehlt). Doch das Fazit –„Der Blick auf die Vorstellungen von Gottes Körperlichkeit zeigt ‚die Wahrheit des Mythos‘ und die Notwendigkeit der Entmythologisierung‘“ (426) – bleibt doch allzu vage.

 

München: C.H. Beck Verlag. 2016

900 Seiten m. Abb.

48,00 €

ISBN 978-3-406-66866-1

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