Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Christoph Theobald: Christentum als Stil

„Auflösung oder Reform?“, vor dieser Alternative stand „das Christentum“ Europas in den Augen des Autors schon im Jahr 2015, als er in Regensburg die Joseph Ratzinger-Gastprofessur innehatte. Sie bildet das Grundgerüst für den inzwischen mit viel Aufmerksamkeit bedachten und hier zu besprechenden Band. Für Christoph Theobald kumuliert diese dezidiert europäische Frage konkreter in der Formulierung „Wie kann heute Hoffnung gemeinsam bezeugt und gegenseitiges Vertrauen ermöglicht werden?“ Der Fundamentaltheologe und Dogmatiker an der französischen Hochschule der Jesuiten in Paris (Centre Sévres) gliedert seine Überlegungen in fünf Kapitel und folgt dabei den beiden Reden von Papst Franziskus vor dem Europaparlament am 25. November 2014.

Ausgehend von der Diagnose, Europa stehe am Scheideweg, und einer Entwicklung des pastoralen Prinzips des II. Vatikanischen Konzils (I.) begreift er Europa als „Missionsland“, aber findet Glauben auch, wo man ihn nicht vermutet (II.). Theobald diagnostiziert als Zeichen der Zeit einen „Religionspluralismus in religionsneutralen Gesellschaften“, ein neues Gewaltpotential (III.) sowie „ökologische und transhumanistische Herausforderungen“ (IV.), um schließlich Kirche als Institution „im Werden“ (V.) zu beschreiben.

Die Ergebnisse von Theobald sind – zumindest im Schlusskapitel des Bandes – griffig formuliert und ergeben sich aus seiner genauen Kenntnis der Konzilstexte, vor allem Gaudium es Spes, Nostra Aetate, Ad Gentes und Dignitatis Humanae sowie des Werkes von Karl Rahner, dessen französische Gesamtausgabe er betreut, und der gastfreundlichen Grundhaltung, die der französische Episkopat in seiner Kampagne „proposer la foi“,„den Glauben anbieten“ schon in den neunziger Jahren an den Tag gelegt hatte: „Ohne von vorneherein danach zu fragen, wo […] die Zukunftschancen Europas liegen, sollten wir Christen für unseren Glauben um Gastfreundschaft werben und dabei gleichzeitig konkret anbieten, was wir zur Formung eines neuen europäischen Selbstbewusstseins anbieten können.“ (326) Entscheidend ist dabei, dass das Christentum angesichts des herrschenden Religionspluralismus und zugleich weit verbreiteten Agnostizismus in einem „postmetaphysischen“ Zeitalter nicht mehr als notwendig und selbstverständlich kulturprägend angesehen wird und also nur noch angeboten und nicht mehr befohlen oder bedingungslos vorausgesetzt werden kann. Anders als Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. legt er dabei das Christentum nicht auf seine griechisch/römische Verlaufsform fest, die sich in Europa ausgebildet hat, sondern glaubt, dass es „in allen Sprach- und Kulturkreisen mit Gastfreundschaft rechnen kann“ (329). Wie er dabei den Kern und wie den vernachlässigbaren „Rand“ des christlichen Glaubens definiert, bleibt allerdings offen.

Nicht ein solcher Kern, sondern der gelebte „Stil“ des Christentums ist für ihn entscheidend. Theobald hofft, dass genau aus der genannten Unbestimmtheit und Nicht-Selbstverständlichkeit neue Religionsproduktivität entstehen kann. „Es gibt keine wirkliche Gastfreundschaft ohne Offenheit für Überraschungen.“ (331) Seinen Stilbegriff hatte er vorher mit Hilfe des Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty entwickelt (65-95) und vor dem Hintergrund des von Hansjürgen Verweyen entwickelten Begriffs „traditio“ – „Hingabe“ verortet, ohne ihn auf das eucharistische Geschehen engzuführen. Zum Vollzug findet das Modell Theobald‘scher „Pastoralität“ in „Lektüre der Schrift, Unterscheidung der ‚Zeichen der Zeit‘ und Zugang zu persönlicher Innerlichkeit und Gebet einerseits und deren kollektive[er] und synodaler[r] Verwirklichung mit dem Ziel gegenseitiger Verständigung im Glauben, Handeln und liturgischen Danken“ (333). Nun ja, nicht ganz neu, aber auch nicht falsch, möchte man hier wie zu vielem anderen im Band sagen.

Würde das vorliegende Werk dieses Fazit konsequent entwickeln und mit Material unterfüttern, könnte der Rezensent lobend schließen. Für den Leser, der sich das Buch anzuschaffen überlegt, muss allerdings hinzugefügt werden, dass die vorausliegenden 320 Seiten leider bestenfalls mäandernd, schlimmerenfalls zusammenhanglos Material auf Material türmen, ohne methodisch konsequent, theologisch stringent oder pastoral erhellend auf das Resümierte hinzulaufen.

Für ein zeitgemäßes Glaubensverständnis in Europa
Freiburg: Herder Verlag. 2018
367 Seiten
38,00 €
ISBN 978-3-34971-3

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