Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Claudia Berg: Die Ewigkeit im Augenblick

„Die Landschaft, die ich liebe, ist armselig“ – mit dieser erstaunlichen Aussage Claudia Bergs beginnt das Video auf der Website (https://claudia-berg-grafik.de/) der Hallenser Künstlerin, die ja gerade die Landschaft in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt hat. Sie bedient sich der (Sepia)Zeichnung und vornehmlich der Druckgrafik – genauer der Kaltnadelradierung, einem Tiefdruckverfahren, bei dem mittels einer Radiernadel Striche in die Kupferplatte geritzt werden. Sind ihre oftmals großformatigen Kaltnadelradierungen armseliger Landschaften ebenfalls armselig?

Werfen wir einen Blick auf den Umschlag des Buches, einen Ausschnitt aus einer 34 cm hohen und 76 cm breiten Grafik von 2019/20 mit dem Titel „Kalabrien“. Das Bild ist gegenständlich, folgt aber keinem mimetischen Ideal; die Farbpalette ist zurückgenommen und changiert zwischen Schwarz- und Grautönen. Zu sehen ist eine ruhige, menschenleere Landschaft, die aufs Wesentliche – auf schlanke Bäume und Gestrüpp, eine Anhöhe im Hintergrund und einen weiten Himmel – reduziert ist. In anderen Landschaftsbildern der Künstlerin kommen noch Flüsse und Gewässer sowie Gebäude und Ruinen als menschliche Hinterlassenschaften hinzu. Die Grafiken „oszillieren“, so Barbara Stark, „zwischen Enthüllen und Verbergen“ und „erzählen … Geschichten, deren Narrativ verborgen bleibt, aber die Phantasie des Betrachters gerade deshalb inspiriert“ (106). Beim Verfasser sind es Stimmungen, die evoziert werden, und sich mit Worten wie (Ver)Zauber(ung) und leise Melancholie umschreiben lassen. Schäbige, keiner Beachtung werte Landschaften transformiert Claudia Bergs künstlerischer Blick in etwas, das Aufmerksamkeit erheischt und so etwas wie Würde verströmt. Dabei versucht sie, so der paradoxe Titel des vorliegenden Buches, die „Ewigkeit im Augenblick“ einzufangen.

Die 1976 in Halle geborene Claudia Berg absolvierte Studium (1995-2002) und Aufbaustudium (2002-2004) an der dortigen Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein im Fachbereich Grafik/Malerei. Die mit Stipendien und Preisen bedachte bildende Künstlerin, die sich auch intensiv mit Literatur befasst, erhielt 2021 den renommierte Hans-Meid-Preis für Buchillustration. Besondere Erwähnung verdienen ihre einundzwanzig Kaltnadelradierungen zu Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“ von 2007.

Das mit instruktiven Texten von Helmut Brade, Christian Lehnert, Joachim Seng und einer Rede von Barbara Starck angereicherte, reich bebilderte Künstlerbuch belegt, dass sich Claudia Berg nicht nur mit verlassenen Orten und kargen Landschaften in Deutschland befasst: In Polen ist sie auf den Spuren Chopins unterwegs; die Stadtlandschaft Paris fasziniert sie. Mit Goethes „Italienischer Reise“ im Gepäck bereist sie Sizilien, besucht Venedig und die etruskischen Nekropolen Norchia und Castel d’Asso. Dabei sucht und findet sie ganz eigene Blickwinkel, um den schönen Orten und Landschaften auf ihren Zeichnungen, Gemälden und Grafiken neue Seiten abzugewinnen. Durch mehrere Zustandsdrucke lässt sich an zwei Beispielen die Entstehung einer Kaltnadelradierung nachvollziehen. Porträts, die einen beachtlichen Nebenzweig in ihrem Oeuvre bilden, sind in diesem Buch nicht berücksichtigt.

In der Kunst der ehemaligen DDR spielte anders als in der Bundesrepublik die Grafik eine wichtige Rolle. Nun bietet dieses wunderbare Künstlerbuch – von dem übrigens auch eine Vorzugsausgabe mit einer kleineren Grafik erhältlich ist – eine gute Gelegenheit, die außerordentliche Qualität der mitteldeutschen Künstlerin Claudia Berg und insbesondere ihrer Kaltnadelradierungen zu entdecken.

Halle: Verlag der Galerie Erik Bausmann. 2022
108 Seiten m. s-w u. farb. Abb.
30,00 €
ISBN 978-3-9803328-9-2

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