Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Clauß Peter Sajak / Michael Langer (Hg.): Kirche ohne Jugend. Ist die Glaubensweitergabe am Ende?

Immer wieder wird derzeit die Glaubenskrise konstatiert, unter der das Christentum in westlichen Gesellschaften leidet. Auch von einer Kirchenkrise ist häufig die Rede, mitunter gar von einer Gotteskrise, einer Kulturkrise oder einer Menschenkrise. Das all diesen Formulierungen zugrunde liegende Unbehagen hat eine seit einigen Jahren intensivierte theologische Reflexion über plausible Situationsanalysen und denkbare Reaktionsmöglichkeiten angestoßen. Ein neuerer Beitrag dieser Art, der 2018 in der Herder-Reihe „Theologie kontrovers“ erschienen ist, nimmt sich anlässlich der Jugendsynode spezifisch der Situation von Kindern und Jugendlichen an und stellt die Frage, ob angesichts einer „Kirche ohne Jugend“ die „Glaubensweitergabe am Ende“ ist. Grund zu dieser Frage gibt es durchaus, vergegenwärtigt man sich etwa die Tatsache, dass 45% der deutschen Jugendlichen sich keiner Kirche mehr zugehörig fühlen (20) und dass die klassischen Orte der Glaubensweitergabe offensichtlich immer stärker an gewisse Grenzen stoßen.

Mit Michael Seewald, der im Sammelband eine systematisch-theologische Einordnung der gegenwärtigen Entwicklungen vornimmt, lässt sich diese Situation eher als eine Krise institutionalisierter Religionsanbindung und weniger als das Phänomen eines Schwundes von Religiosität an sich qualifizieren. Im Hintergrund steht dabei der von Peter L. Berger formulierte „häretische Imperativ“, also die für zeitgenössische Biographien prägende Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Sinnangeboten zu wählen, und die damit einhergehende Tatsache, dass die Optionalisierung weltanschaulicher Positionen sogar die Möglichkeit der synkretistischen Kombination verschiedener Traditionsversatzstücke zu einem ganz persönlichen Glaubensmix einschließt. Die Konsequenz in einer Zeit, die sich nach „Authentizität“ sehnt (Charles Taylor), müsste nach Seewald die sein, dass Vertreter(innen) des Christentums sich stärker um eine argumentative Plausibilisierung der eigenen Glaubensüberzeugungen bemühen – und dass kirchlicherseits weniger „Selbstaffirmation und Autoritätsgehabe“ (62) an den Tag gelegt wird.

Der spezifische Zugang des vorliegenden Bandes erschöpft sich allerdings nicht in der klaren Fokussierung auf die Frage, wie gerade junge Menschen zum Glauben kommen. Eine weitere Besonderheit, die sich in der Aufnahme in die Reihe „Theologie kontrovers“ andeutet, liegt im Format des Bandes und der Auswahl der Autorinnen und Autoren. Der Verfasserkreis kombiniert nämlich die etablierte akademische Theologie mit solchen Stimmen, die – bei aller Unterschiedlichkeit der jeweiligen Positionierungen, beruflichen Biographien und geistlichen Verortungen – neue spirituelle Wege erproben wollen und dabei zu einer Öffnung gegenüber (in einem weiteren Wortsinn) charismatischen Formen bereit sind. Gründe für die Eröffnung eines solchen Dialogs liegen nicht nur, wie der Herausgeber Clauß P. Sajak formuliert, in den „sehr positiven Erfahrungen vieler engagierter Katholik(inn)en mit alternativen Traditionsformen des Glaubens, in der Regel mit sog. Neuen Geistlichen Gemeinschaften und Bewegungen“ (25), sondern fraglos auch in den Erfolgen, die Letztere derzeit gerade im Blick auf die Attraktivität für junge Menschen zu verzeichnen haben. Die Entscheidung zugunsten dieser Dialogeröffnung trägt aber schon die Kontroverse in sich; es ist in der akademischen Theologie derzeit nämlich keineswegs unumstritten, ob ein solcher Austausch mit Vertretern neuer geistlicher Aufbrüche sinnvoll und zielführend ist. An dem vorliegenden Sammelband mitgewirkt haben naturgemäß nur solche Theologinnen und Theologen, die diese Frage nicht prinzipiell verneinen (12).

Dieser Austausch, den der Band anstrebt, vollzieht sich konkret so, dass die verschiedenen zentralen Orte der Glaubensweitergabe – Familie, Gemeindekatechese, Religionsunterricht, kirchliche Jugendarbeit und Hochschulpastoral – je von zwei verschiedenen Perspektiven aus in den Blick genommen werden. Im Abschnitt zur Familie plädiert Georg Langenhorst dafür, über allen Projekten der Neuevangelisierung nicht die etablierten und überraschend gut funktionierenden Sozialisationseinrichtungen der kirchlichen Kindererziehung zu vernachlässigen (94); Michaela Freifrau Heereman hingegen betont die Bedeutung der Familie als den primären „Ort für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder“ (97), wo im Modus der bedingungslosen elterlichen Liebe die alles übersteigende Liebe Gottes spürbar wird.

Die beiden Beiträge zur Gemeindekatechese diskutieren die katechetische Bedeutung des YOUCAT. Während Bernhard Meuser, Initiator und Mitautor des YOUCAT, den neuen Jugendkatechismus als ein wichtiges, aber zu wenig genutztes Medium einordnet, um im Rahmen einer „dialogischen, nicht autoritären Katechese“ (118) einen reifen und reflektierten Glauben zu stärken, verweist Clauß P. Sajak auf die prinzipiellen didaktischen Grenzen der Gattung des Katechismus, die in der Falle des römischen „Vollständigkeitsdenken[s]“ (125) und folglich in einer tendenziellen Lebensferne gesehen werden – in didaktischer Hinsicht sinnvoller, so das Plädoyer Sajaks, wäre eine diskursive Auseinandersetzung mit ausgewählten lebensweltlich besonders relevanten Glaubensaspekten.

Es schließen sich zwei Texte zum Religionsunterricht an: Mirjam Schambeck wirbt anstelle des als missverständlich eingeschätzten „konfessionellen“ für einen „positionellen“, also die „Positionierungsfähigkeit von Schüler(inne)n“ in religiösen Fragen (136) fördernden Religionsunterricht, der zwar nicht zwingend die einheitliche Glaubenszugehörigkeit der Lernenden, wohl aber die von Lehrender/m und Lehre festhält; Christine Mann begrüßt das Ende einer Phase der Lebensweltabsolutierung und Beliebigkeit im Religionsunterricht.

Im vierten Abschnitt des Bandes zeichnet Judith Könemann die klassische kirchliche Jugendarbeit als einen Ort des sozialen, ästhetischen und demokratischen Lernens sowie der Grundlegung von kirchlicher Bindung und sozialem Engagement, während Michael Maas neue geistliche Bewegungen in der Jugendarbeit als Antriebsfaktoren einer kirchlichen Erneuerung sowie einer Anpassung an zeitaktuelle und in anderen Formen kirchlichen Lebens als nicht befriedigt erlebte spirituelle Bedürfnisse charakterisiert. Abschließend richtet sich der Blick auf die Realität der Hochschulgemeinden: Die Herausforderungen und Chancen einer zeitgemäßen Hochschulpastoral werden im Beitrag von Richard Hartmann reflektiert, und Gerold Jäger schildert Erfahrungen, die im Rahmen eines Alpha-Kurses in der KHG Bonn gewonnen wurden.

Das Format des Bandes, das zu jedem der Orte der Glaubensweitergabe je zwei aus unterschiedlicher Perspektive abgegebene Stellungnahmen zusammenführt, ohne reziproke Bezugnahmen vorzusehen, muss teils redundante und teils eher parallele als kontroverse Passagen in Kauf nehmen, die mitunter bei der Lektüre überhaupt erst auf die sich jeweils manifestierenden Unterschiede hin befragt werden müssen. An anderen Stellen sind die Differenzen hingegen sehr gut erkennbar; und immer wieder wird eine Metaebene eingenommen, die die Sinnhaftigkeit eines gegenseitigen Lernprozesses und die Berechtigung unterschiedlicher und nicht aufeinander reduzierbarer Glaubenszugänge thematisiert. In jedem Fall sind die beiden Anliegen, die der Band verfolgt, als hochaktuell und relevant zu bewerten: Eine aufmerksame Beobachtung und kritische Reflexion der gegenwärtigen Situation der Glaubensweitergabe tut ebenso not wie der Dialog zwischen klassischen Formen der Glaubenspraxis und Neuen Geistlichen Gemeinschaften. Es dürfte für beide Seiten eine nicht unbeträchtliche Herausforderung darin liegen, trotz aller Differenzen zu einer gegenseitigen Offenheit und Lernbereitschaft zu finden, statt einander die (rechte Form von) Kirchlichkeit abzusprechen. Dass sich das Christentum in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Marginalisierung und Infragestellung eine Fokussierung auf interne Grabenkämpfe nicht leisten kann, liegt aber angesichts der im vorliegenden Sammelband thematisierten Krisensituation ebenfalls auf der Hand.

Freiburg: Herder Verlag. 2018
218 Seiten
18,00 €
ISBN 978-3-451-38045-7

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