Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Daniel Deckers: Papst Franziskus

Wider die Trägheit des Herzens
Eine Biographie

Die Wahl des ersten argentinischen Papstes vor knapp zwei Jahren hat eine rege Suche nach dessen Geschichte, theologischer Prägung und möglicher Programmatik hervorgerufen. Spätestens nach seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ liegen die ersten Grundlinien vor. Sie in das bisherige Leben von Papst Franziskus einzuordnen, ist Aufgabe aller Biographen. Zwei Journalisten und Theologen legen unterschiedliche und sich ergänzende Studien vor.

Daniel Deckers, Kirchenredakteur bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, hat sich für einen chronologischen Zugang zu Jorge Mario Bergoglio entschieden. Er geht auf die italienischen Wurzeln der Familie Bergoglio im Einwandererland Argentinien ein. Ausführlich beschreibt er die politische und wirtschaftliche Entwicklung Argentiniens und seine periodischen Krisen. Er geht auf die Berufungsgeschichte Bergoglios ein, seine Ausbildung und seine Studienzeit. Vor allem ordnet er die Nähe des Papstes zu den Armen und sein Anliegen einer armen Kirche in die argentinische Variante der lateinamerikanischen Befreiungstheologie ein, in die Theologie des Volkes, wie sie von den Theologen Juan Carlos Scannone, Lucio Gera und Alberto Methol Ferré entwickelt wurde. 

Bergoglio wurde bereits als junger Jesuit mit Leitungsaufgaben betraut. Er war Provinzial während der Militärdiktatur der 1970er Jahre. Deckers erhellt diese Zeit mit vielen Hintergrundinformationen und kann vor allem zur Entlastung des Provinzials im Zusammenhang der Entführung der beiden Jesuiten Orlando Yorio und Franz Jalics beitragen. Öffentliche politische Stellungnahmen Bergoglios gibt es erst aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires. Diese führten dazu, dass die Präsidenten nicht mehr am Te Deum in der Kathedrale aus Anlass des Nationalfeiertags teilnahmen. Der Jesuiten-Provinzial Bergoglio bevorzugte die stille Hilfe und Unterstützung.

Deckers gibt seinem Buch den Untertitel „Wider die Trägheit des Herzens“. Es ist die Kapitelüberschrift, mit der er den Teil über Papst Franziskus versieht. Bergoglios Programm als Papst ist, so die These von Deckers, keineswegs neu, sondern eine konsequente Fortsetzung seiner argentinischen Tätigkeit für eine Kirche der Armen, für Barmherzigkeit, aber auch mit klarer Denunziation von Haltungen, die einer erneuerten Kirche widerstreiten.

Einen anderen Weg beschreitet der ZDF-Redakteur Jürgen Erbacher, der bereits seine zweite Franziskus-Biographie vorlegt. Er geht von den Worten und Gesten des Papstes aus und ordnet sie in dessen bisheriges Leben ein. Auch für ihn erscheint das Pontifikat wie die reife Frucht eines konsequenten Lebens als Jesuit in verschiedenen Leitungsfunktionen und als Weihbischof, Erzbischof und Kardinal in einer der Megacities unserer Welt. Erbacher schließt das Netzwerk des Papstes auf und charakterisiert seine Berater und Mitarbeiter. Wie Deckers akzentuiert er das sozialethisch-politische Programm des Papstes, das einen ersten Niederschlag im Abschlussdokument der Bischofsversammlung von Aparecida (2006) und eine Relecture in „Evangelii gaudium“ gefunden hat, und sieht darin eine Umsetzung der „Theologie des Volkes“. Erbacher macht Sympathien und Ähnlichkeiten mit Papst Johannes XXIII. aus, den der argentinische Papst heiliggesprochen hat. Aus Kindheit und Jugend hat sich Bergoglio eine Vorliebe für Kinofilme und Literatur bewahrt, zu der nicht nur Hölderlin gehört, sondern auch das italienische Nationalepos „Die Verlobten“ von Alessandro Manzoni. Erbacher lässt die Widerstände nicht unerwähnt, die dem Papst im Vatikan begegnen. Er vertraut auf ihn als „Mann des Dialogs“, auch im Kontakt mit den anderen Religionen. Mit einem Fragezeichen versieht er die Behauptung, die deutsche Kirche befinde sich bereits im „Franziskusmodus“. Zu umstritten sind die heißen Eisen, an deren Lösung noch geschmiedet wird.

Beide Bücher lesen sich komplementär. Wer einer biographischen Entwicklung folgen will, greife am besten zunächst zu Deckers. Wer eine Antwort auf die Hintergründe aktueller Papstpolitik sucht, möge zuerst Erbacher zur Hand nehmen. Spannend zu lesen sind beide Bände. Und am Ende bleibt die Hoffnung, es möge dem argentinischen Papst noch genügend Zeit vergönnt sein, sein Programm einer Reform der Kurie und der Kirche durchzusetzen.

München: C.H. Beck Verlag. 2014
352 Seiten
29,90 €
ISBN 978-3-406-66772-5

 

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