Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Denis Diderot: Die Unterhaltung eines Philosophen mit der Marschallin de Broglie wider und für die Religion

Die gemeinsam mit Jean Baptist le Rond d’Alembert herausgegebene und mitverfasste „Enzyklopädie der Wissenschaften, Künste und Gewerbe“ (1751-1766) hat Denis Diderot (1713-1784) berühmt gemacht und maßgeblich zum Durchbruch der französischen Aufklärung beigetragen. Der Philosoph und Schriftsteller lebte in einer Zeit, in der die Kritik an der katholischen Kirche ein gefährliches Unterfangen war. Die Zensur und ein demütigender Gefängnisaufenthalts haben Diderot zur Camouflage veranlasst; seine radikalen Schriften bekamen nur Freunde und aufgeklärte Kreise im In- und Ausland zu lesen. Auf diesem Hintergrund erklärt sich die verwickelte Veröffentlichungsgeschichte des „Dialogs“, die der Übersetzter Hans Magnus Enzensberger in seinen „Addenda“ nachzeichnet: Bereits 1774 verfasst, erscheint der „Dialog“ 1777 als Werk eines gewissen Thomas Crudeli und erst 1796 unter dem Namen seines Verfassers. Postum wurden auch Diderots philosophische Romane „Jacques der Fatalist und sein Herr“ und „Rameaus Neffe“ veröffentlicht.

Kontrahenten des „Dialogs“ sind zum einen die Marschallin de Broglie, eine ebenso fromme und kinderreiche wie attraktive Dame von Welt, zum anderen der mit ihrem Mann verabredete Philosoph Crudeli, angeblich ein „Mann, der an gar nichts glaubt“ (3). Beiden nutzen die unvermutete Wartezeit für eine geistreiche „Unterhaltung … wider und für die Religion“ – wobei mit Religion das Christentum gemeint ist und sich das Gespräch um Verhältnis von Religion und Moral dreht: Motiviert der christliche Glauben zum Guten – und umgekehrt der Unglauben zum Schlechten? Ja, so die Antwort der Katholikin, denn die Religion hat ja den Sinn, die sündige menschliche Natur mit der Androhung göttlicher Strafe von heimlich oder offen geplanten Übeltaten abzuschrecken; der Ungläubige hingegen, der keine göttliche Strafe befürchtet, kapituliert vor dem Bösen. Auf der Linie aufklärerischen Denkens widerspricht der Philosoph: Wer glücklich geboren und gut erzogen wird, der macht im Leben die Erfahrung, dass es vorteilhaft ist, anständig zu leben; schlechte Handlungen versteht er als eine Folge fehlender Konsequenz. Vor allem aber bestreitet Crudeli die Auffassung, Religion sei eine Stütze der Moral. Sein stärkstes Argument, das den Kern des christlichen Glaubens tangiert, lautet, dass die Vorstellung einer „Gottheit, die allbedeutend und völlig unfaßbar“ und zudem wichtiger als das eigene Leben (7) ist, von Fanatikern dazu benutzt wird, Hass und Zwietracht zu sähen: in Familien, in Ländern und zwischen Völkern. Ein eher galantes Argument, das in Zeiten von #MeToo mit Widerspruch rechnen muss, besteht in Crudelis Beobachtung, dass die frommen wie modebewussten Pariser Damen die Gebote der Bergpredigt nicht ernst nehmen, lassen sie sich doch dekolletierte Kleider schneidern, was Männer – zumindest gedanklich – zum Ehebruch verführt.

Ohne Religion, so Madame de Broglie, gibt es keine Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod. Und für die Aussicht, in den Himmel zu gelangen, lohnt es durchaus, sich „auf einen kleinen Kuhhandel mit dem lieben Gott“ einzulassen, indem man auf „allerlei Annehmlichkeiten“ verzichtet (4). Der Philosoph hält dagegen: Er hege keine solche Hoffnung, weil er sich eine Auferstehung nicht vorstellen könne. Schwerer wiegt sein zweiter, durchaus theologischer Einwand: Ein strenger Richter, der die geheimsten Gedanken eines tugendhaften Menschen durchschauen und beurteilen kann, ist eine ganz und gar unwürdige Gottesvorstellung. Muss ein göttlicher Richter nicht eher so gedacht werden, dass er die Verleugnung seiner Existenz, falls sie guten Glaubens geschieht, vergibt – und nur über die üblen Gedanken und Werke sein gerechtes Urteil spricht?

Diderot hat die Überzeugungskraft der vorgebrachten Argumente ungleich verteilt: Die Marschallin, eine charmante Vertreterin des Ancien Régime, bekennt freimütig, nichts anderes als ihr Gebetbuch gelesen zu haben (6). Die von ihr angeführten Argumente zugunsten der Religion gleichen exakt denen, die bereits der Sophist Kritias im 5. Jh. v. Chr. äußerte – wobei die Frage, ob das Christentum nicht einen wichtigen Beitrag zur Wertevermittlung in einer überkomplexen Welt leistet, nach wie vor virulent ist. Reichlich naiv ist Madame de Broglies Gedanke, mit Gott lasse sich ein lukrativer Tauschhandel – Wohlverhalten auf Erden im Tausch gegen einen Platz im Himmel – betreiben. Außerdem legt der Gedanke, Religion motiviere zu Sitte und Moral, es nahe, über funktionale Äquivalente zur Religion nachzudenken. Genau das macht Crudeli und plädiert für eine autonome Moral, die aus Gründen der Vernunft befolgt wird. Seine Überzeugung freilich, schlechte Handlungen seien lediglich die Folge fehlender Konsequenz, kann mit nüchternem Blick auf die Wirklichkeit nur als eine aufklärerische Naivität bezeichnet werden; die Marschallin, die von der „sündigen Natur“, oder Kant, der von einem „Hang zum Bösen“ spricht, sind da realistischer. Bemerkenswert jedoch ist es, dass ausgerechnet ein Atheist einen als „Big Brother“ verstandenen Gott mit der Würde des Menschen unvereinbar hält und darum für einen barmherzigen (Richter-)Gott plädiert.

Dem Aufklärer Crudeli geht es um ein vorurteilsloses Selberdenken – aber ohne „den Ehrgeiz, … zum Unglauben zu bekehren“ (12). Es macht Freude, mit Diderot und seinen Protagonisten die „Unterhaltung … wider und für die die Religion“ fortzuführen. Deshalb ist die „Friedenauer Presse“ sehr zu loben, die die „Unterhaltung“ in einem schönen fadengehefteten Büchlein zugänglich gemacht hat.

Aus dem Französischen übersetzt und mit Addenda von Hans Magnus Enzensberger

Berlin: Friedenauer Presse. 2018
32 Seiten
12,00 €
ISBN 978-3-932109-84-3

Zurück