Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Dirk Ansorge: Kleine Geschichte der christlichen Theologie

Christliche Theologie steht von ihrem Ursprung her vor einer doppelten Herausforderung. Auf der einen Seite ist sie von der Überzeugung geprägt, dass „Gottes unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen“ wird (Röm 1,20). Auf der anderen Seite gilt sie dem, „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist“ (1 Kor 2,9). Daraus ergibt sich eine wechselseitige Herausforderung von menschlicher Vernunft und christlichem Offenbarungsanspruch, deren wechselvolle Geschichte im vorliegenden Band nachgezeichnet wird. So beginnt die Darstellung mit der frühen Kirche und endet mit der Vorstellung gegenwärtiger theologischer Ansätze wie z.B. des Freiheitsdenkens bei Thomas Pröpper und seiner Schule, der „Dramatischen Theologie“ Raymund Schwagers oder der Analytischen Theologie.

Für den Religionsunterricht ist dieser Band u.a. deshalb von Interesse, weil an der christlichen Theologie im großen Rahmen diejenige Aufgabe studiert werden kann, vor der im Kleinen auch er selber steht: in seiner Botschaft anschlussfähig zu sein für sein zeitgenössisches Gegenüber, ohne sich an dessen Bewusstseinsstandards und Befindlichkeiten zu verlieren. Den Prozess, in dem die Theologiegeschichte sich dieser Aufgabe stellt, zeichnet der Autor in seinen großen Linien nach. Dabei ist von besonderem Interesse, wie er nachweist, welchen Stellenwert bestimmte Aussagen der kirchlichen Überlieferung gewinnen, wenn man ihren geschichtlichen Kontext mitbedenkt.

Um es nur an einem Beispiel zu verdeutlichen: Der Satz „extra ecclesiam nulla salus“ – „Außerhalb der Kirche kein Heil“ – steht im heutigen Bewusstsein für die Position eines religionstheologischen Exklusivismus. Und dazu haben auch das Vierte Laterankonzil sowie das Konzil von Florenz beigetragen. Er entstand aber in der frühen Kirche im Streit um die „Ketzertaufe“ – und Cyprian von Karthago wollte damit klarstellen, dass die Taufe durch einen Ketzer ungültig sei. Seine Diskussion führte freilich durch Augustinus zu der Klarstellung, dass auch die Ketzertaufe gültig sei, weil nicht der Taufende, sondern Jesus Christus in ihr handle. Insofern bereitete dieser Satz im historischen Kontext die Überzeugung vor, dass Gottes Gnade weiter reiche als die sichtbare Gestalt der Kirche.

Dieses Beispiel mag ausreichen, um zu zeigen, wie lohnend schon eine punktuelle Lektüre dieses Bandes ist, wenn man sich thematisch auf einzelne Inhalte des Religionsunterrichts vorbereiten und nicht nur vermeintliche Plausibilitäten des „mainstreams“ wiederholen will. In seiner Ganzheit ist der Band primär für diejenigen von Interesse, die sich in grundsätzlicher Hinsicht mit demjenigen Verhältnis von Rationalitäts- und Offenbarungsanspruch auseinandersetzen, von dem eine christliche Theologie in dem eingangs genannten Sinne bestimmt ist. Dass es dabei in der Großflächigkeit der Darstellung im Einzelnen nicht nur zu Vereinfachungen kommt, sondern dass man hier und da auch widersprechen mag, mindert nicht die Leistung dieses Werkes.

Im Blick auf die Inhalte des schulischen Religions- und Deutschunterrichts bin ich zum Beispiel anders als der Verfasser der Auffassung, dass es in Lessings „Nathan der Weise“ keineswegs um „Überwindung der Religionen überhaupt“ (272) geht, sondern dass der Glaube als eine Haltung begegnet, die den Menschen gerade in Krisensituationen des Lebens zur Vernunft bringt. Freilich gilt dies nur für einen Glauben, der zuvor sich selbst der Läuterung durch die Vernunft gestellt hat. Insofern könnte insbesondere hier auch im Religionsunterricht die Wechselseitigkeit studiert werden, mit der Vernunft und Glaube einander zur Herausforderung werden können.

Epochen, Denker, Weichenstellungen
Regensburg: Friedrich-Pustet-Verlag. 2017
406 Seiten
29,95 €
ISBN 978-3-7917-2874-2

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