Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Eberhard Schockenhoff: Entschiedenheit und Widerstand

Seit 9/11 ruft der antike Begriff des Martyriums einen neuen Klang hervor, der nicht nur der Politik, sondern auch der Religion eine Unterscheidung der Geister abverlangt. Die Öffentlichkeit will wissen, wie es die Religion mit der Gewalt im Namen der Wahrheit hält. Sie verdächtigt sie, um eines höheren Gutes willen Recht außer Kraft zu setzen und Zwang auszuüben, bis zur blutigen Selbstaufopferung. Der Begriff des Martyriums, der seine historische Semantik im religiösen Feld des Christentums entfaltet hat, erhält eine neue Zuschreibung. Diese Zuschreibung gewinnt ihre Plausibilität wiederum im religiösen Feld: aus Traditionselementen des Islam, die zur Legitimation von Gewalt herangezogen werden.

Das Buch des renommierten Freiburger Moraltheologen Eberhard Schockenhoff versteht sich als eine Beitrag zu einer solchen Unterscheidung der Geister aus Sicht der katholischen Theologie. Zugleich will es damit zur Rettung des christlichen Wahrheitsgehalts des Martyriums beitragen. Sofort fällt ins Auge, wie es im Titel „Entschiedenheit und Widerstand“ auf jene berühmte Veröffentlichung der Aufzeichnungen Dietrich Bonhoeffers in der Gestapohaft, die dessen Freund und Biograf Eberhard Bethge 1951 erstmals herausgab, anspielt: „Widerstand und Ergebung“. Damit verschiebt das Buch den Akzent. Es befasst sich mit Kriterien für eine Entschiedenheit, die das eigene Leben der eigenen Überzeugung unterordnet. Wie zu erwarten, bildet dafür bei Schockenhoff die „Theologie der Freiheit“ den Dreh- und Angelpunkt.

Im ersten, einführenden Kapitel betont das Buch im Blick auf gegenwärtige Einwände die Notwendigkeit einer Theologie des Martyriums hinter den heroischen Stilisierungen. Im zweiten Kapitel wird zunächst das antike christliche Martyriumsverständnis skizziert: biblisch, christologisch, soteriologisch, eucharistietheologisch und ekklesiologisch. Das dritte und umfangreichste Kapitel beleuchtet sechs verschiedene Motive im Vergleich mit philosophischen und ethischen Einstellungen, insbesondere aus der Antike und anhand von Selbstzeugnissen aus der NS-Zeit, beispielsweise im Briefwechsel zwischen Freya und Helmuth Moltke. Folgende Motive werden auf diese Weise untersucht: (1) Verachtung körperlicher Schmerzen, (2) Geringschätzung des Todes und Hoffnung auf ewiges Leben, (3) Heiterkeit, innere Ruhe und Gelassenheit, (4) Übereinstimmung von Überzeugung und Leben, (5) freimütiges Eintreten für die eigene Sache als Zeichen höchster Freiheit und (6) Ausdruck vollkommener Liebe. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einer Skizze zum Wandel des Verständnisses hin zu Tugend und Askese als unblutigem Martyrium von der Antike über das Mittelalter bis in die Barockfrömmigkeit.

Im vierten Kapitel werden Merkmale herausgearbeitet, die christliche Märtyrer im Europa der NS-Zeit und der Sowjetunion sowie im 19., 20. und 21. Jahrhundert in Asien, in Lateinamerika und im Nahen Osten kennzeichnen: Sie sterben, weil sie aufgrund der ethischen Konsequenzen, die sie aus ihrem Glauben ziehen, politisch verfolgt werden; sie leben in familiären Beziehungen, eindrucksvoll das Beispiel von Franziska und Franz Jägerstätter; und sie sind von einer im Einsatz für die Menschen vereinten Ökumene der Kirchen überzeugt.

Auf diesem Hintergrund wird schließlich im fünften Kapitel die Frage diskutiert, ob sich angesichts dessen ein christliches Spezifikum des Martyriums ausmachen lasse, wie von Hans Urs von Balthasar behauptet. Ausgehend von drei theologischen Grundmotiven – dem Schöpfungsglauben, dem Einsatz für das Reich Gottes und der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe – plädiert Schockenhoff für ein erweitertes Martyriumsverständnis, das über das religiöse Bekenntnis hinaus alle Menschen einbeziehen kann, die aufgrund ihres Einsatzes, der diesen drei Grundmotiven entspricht, verfolgt werden. Als Epilog bilanziert Schockenhoff am Ende im sechsten Kapitel den „geistliche[n] Gewinn, der aus dem Andenken der Märtyrer zu erzielen ist“: (1) die Mahnung zu einem nüchternen Realismus, (2) die heilende Kraft für die Gemeinschaft, (3) die Hoffnung, die sich bei allem Einsatz letztlich auf Gott richtet und (4) die Selbstverpflichtung zu eigenem Engagement.

„Entschiedenheit und Widerstand“ empfiehlt sich wegen seiner Beispiele aus der Antike und der Gegenwart, insbesondere der NS-Zeit, sowie wegen seiner historischen Bezüge als Fundgrube für eine Befassung mit Fragen, die die Schicksale von Menschen aufwerfen, die für ihre Überzeugung ihr Leben eingesetzt haben. Darüber hinaus enthält es sowohl theologische als auch ethische Reflexionen einerseits zu Fragen des Engagements in dieser Welt und andererseits zu Fragen des Verlustes durch den Tod eines Menschen.

 

Freiburg: Herder Verlag. 2015

240 Seiten

22,99 €

ISBN 978-3-451-33650-8

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