Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Erwin Dirscherl / Markus Weißer: Dogmatik für das Lehramt

„Früher war mehr Dogmatik!“, so könnte man Loriot variieren – und sich auch in diesem Falle jenes ominöse „Früher“ nicht zurückwünschen. Denn die Lehrbücher „nach den Grundsätzen des heiligen Thomas“, die ein Studium der katholischen Theologie bis in die 1960er-Jahre hinein prägten, explizierten selbstbewusst ein mächtiges Satzgebäude, sahen jedoch kaum Platz für Fragen und Glaubensnöte des modernen Menschen vor (umso mehr für die zu widerlegenden „Irrtümer“). Das hat sich mittlerweile gründlich geändert, und die „Dogmatik für das Lehramt“ steht dafür ein.

Die Verfasser Erwin Dirscherl und Markus Weißer lehren in Regensburg Theologiestudenten, die heute zum großen Teil „Schule“ als ihren künftigen Wirkungsort anstreben. Das legt nahe, die wissenschaftliche Darlegung so auszurichten, dass gerade bei den großen Traktaten wie Gotteslehre, Soteriologie oder Eschatologie das, worum es eigentlich geht – das Leben unter der Annahme, dass Gott sich „in“ Jesus Christus ausgesprochen hat –, nicht im Dickicht der dogmengeschichtlichen Feinheiten untergeht. „Theologie hat also keinen theoretischen Selbstzweck, und auch Dogmen sind nicht um ihrer selbst willen da.“ Diesen Satz aus der Einleitung lösen die Autoren in den zwölf Kapiteln „im Modus der Frage“ glänzend ein. Nach einer kleinen Apologie des fraglichen und fragwürdigen Glaubens stellt sich Erwin Dirscherl sogleich der Gottesfrage: „Der sprechende Gott und sein Wort stehen im Zentrum des Alten und Neuen Testaments.“ Wer christlich von Gott künden möchte, muss sich an dieses Wort halten, es auslegen und in sein Leben lassen, „wobei dem bischöflichen Lehramt eine entscheidende, aber nicht alleinige Verantwortung zukommt“. Diejenigen, die im schulischen Lehramt stehen, wissen um die Sisyphusarbeit, die mit jedem der hermeneutischen Schritte verbunden ist. Als geradezu berüchtigt kann die konfrontative Missdeutung von Genesis 1 gelten. Wie rasch und gedankenlos wird der göttlichen Schöpfung der (in der Regel kaum reflektierte) „Urknall“ entgegengestellt. Die schöne Überschrift des dritten Kapitels – „Der Mensch – frei gesetzt aus Sternenstaub?“ – buchstabiert die tiefsinnigere Alternative: Empirisch betrachtet ist der Mensch tatsächlich kosmischer Staub. Der Glaube fragt jedoch weiter und erkennt in der Dynamik des menschlichen Seins, im Streben nach Sinn und Liebe, nach Verantwortung und Schuldbewältigung eine göttliche Dimension. „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“, so heißt es im Exsultet der Osternacht. Ein kühner, ja verrückter Satz, in dem gleichwohl die christliche Theologie kulminiert. Dirscherl legt die soteriologische Gedankenfolge so geerdet wie präzise dar und schließt: „Mit Blick auf die menschgewordene Liebe Gottes gibt es keine Sünde, angesichts derer der Mensch nicht die Hoffnung haben darf, Vergebung zu finden – felix culpa.“

Auch für eines der beiden eschatologischen Kapitel findet sich in dieser fragenden Dogmatik eine Überschrift, die in den klassischen Lehrbüchern kaum vorstellbar wäre: „Wer früher stirbt, ist länger tot?“, so anspielungsreich Markus Weißer, der mit der Phänomenologie des Todes, mit dem „Sein zum Tode“ (Martin Heidegger) ansetzt, um dann die christliche Antwort durch die „lebenslange Spannung von Passivität und Aktivität“ aufscheinen zu lassen: „Im Tod bzw. im Leben, das auf den Tod zielt, kann der Mensch am Geheimnis seiner Existenz verzweifeln, oder sich ihm in Liebe öffnen und ins Unüberschaubare hinein anvertrauen.“ Was der zweite Weg mit der Nachfolge Jesu zu tun hat, was sich heute noch mit den „räumlichen Metaphern HimmelHölleFegefeuer“ veranschaulichen lässt, auch das lässt sich dieser Dogmatik entnehmen, die von den klassischen Traktaten geprägt ist und zugleich die Perspektive des angefochtenen Bewohners der Moderne aufnimmt. „So bleiben Fragen offen und zur weiteren Diskussion gestellt“, heißt es gegen Ende des abschließenden Kapitels („Auferstehung des Leibes?“), das naturgemäß keinen Schlusspunkt setzen kann.

Erwin Dirscherl und Markus Weißer haben ein kenntnisreiches und anregendes Werk verfasst, das auch Lesern mit langer „Lehramt“-Erfahrung ein sinnvolles und ermutigendes Dogmatik-Update schenkt.

12 Kernfragen des Glaubens
Regensburg: Friedrich Pustet Verlag. 2019
398 Seiten
29,95 €
ISBN 978-3-7917-3050-9

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