Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Georg Langenhorst: Altes Testament und moderne Literatur

Auf die Frage nach dem für ihn wichtigsten Buch der Weltliteratur antwortete Bertolt Brecht: „Sie werden lachen, die Bibel!" Diesem Urteil würde sich sicher auch Georg Langenhorst anschließen, Professor für Didaktik des katholischen Religionsunterrichts und Religionspädagogik an der Universität Augsburg. Denn er ist  durch zahlreiche Veröffentlichungen als Fachmann zum Thema Bibel und moderne Literatur ausgewiesen und hat als Autor von Kriminalromanen seine persönliche Affinität zum literarischen Geschäft gezeigt. In der vorliegenden Veröffentlichung geht es ihm darum, die bleibende Wirkkraft alttestamentlicher Motive, Personen und Sprachformen in der deutschsprachigen Literatur, vor allem des 20. und 21. Jahrhunderts, aufzuzeigen. In acht Kapiteln, die jeweils zentrale und über den Kreis der Bibelkenner hinaus bekannte Überlieferungen der Bibel aufgreifen, zeigt er, wie sich zeitgenössische Schriftsteller und Schriftstellerinnen von deren Motiven haben anregen lassen und diese zu eigenen Gestaltungen verarbeiten.

Das Panorama alttestamentlicher Geschichten beginnt mit Noah und der Sintflut, führt über den Turmbau von Babel zu den sündigen Städten Sodom und Gomorra; ruft Israels Könige Saul, David und Salomo, die Heldin Ester, den Propheten Jeremia und den leidenden Hiob in Erinnerung, um schließlich die Rezeption des Buches Kohelet und des Psalters in der jüngeren Literatur zu verfolgen. Der Leser stößt auf Bekanntes und zu Recht Vergessenes, entdeckt aber auch zeitgenössische Autoren auf dem Grenzgebiet von Literatur und Religion, die bisher nicht im Focus theologischer Literaturrezeption standen. Zu nennen sind hier unter anderen der evangelische Theologe und Schriftsteller Christian Lehnert, der Ordensmann und Priester Andreas Knapp, der Psalmenübersetzer und Träger des Büchner-Preises Arnold Stadler oder der Philosoph und Lyriker Ludwig Steinherr.

Wie unterschiedlich und vielperspektivisch Schriftsteller biblische Themen aufgreifen, lässt sich am Buch Jeremia zeigen. Der Prophet wird gedeutet als Prototyp des von Gott berufenen Menschen, als Identifikationsgestalt des unverstandenen und zwanghaft schaffenden Künstlers, als Urbild jüdischer Identität in Untergang und Hoffnung auf Weiterleben, als Vorbild des Friedenskämpfers oder als Gestalt, in der die bleibende Rätselhaftigkeit Gottes anschaulich wird. In der Rezeption einer solchen Gestalt wird exemplarisch deutlich, wie das Alte Testament bis heute in der Literatur weiterwirkt, auch wenn deren Autoren keinen engeren Bezug zur Religion oder zum religiösen Schrifttum haben. Langenhorst zeigt sich bewandert in diesem unübersichtlichen Grenzland, in dem häufig nur Andeutungen oder isolierte Motivübernahmen die Rezeption ausmachen, und ist hellhörig für die leisen Töne und zurückhaltende Anspielungen. Zugleich überblickt er große Stoffmassen und versteht es, diese zu ordnen, seine Leser und Leserinnen in zusammenfassenden Überblicken zu informieren und Schwerpunkte in Form methodisch und sachlich überzeugender Einzelinterpretationen zu setzen. Und das Ganze in einer verständlichen Sprache, die sich an einen an Literatur und Bibel interessierten Leserkreis richtet.

Dennoch kann der Religionspädagoge nicht ganz zufrieden sein. Denn mehr und mehr gewinnt er beim Lesen den Eindruck, in einer literaturwissenschaftlichen Arbeit aus dem Bereich der Motivgeschichte unterwegs zu sein. Um religiös relevante Einsichten zu erzeugen, bedarf es der Vertiefung, etwa unter folgenden Fragestellungen: Auf welchem weltanschaulichen, religiösen oder gesellschaftlichen  Hintergrund sind die Texte entstanden? Welche Verschiebungen zeigen im Vergleich mit den biblischen Texten die modernen Adaptionen? Welche Möglichkeiten der Zustimmung bieten für den heutigen Leser die alten wie die neuen Texte? Wo fordern sie zum Widerspruch auf? Das sind hermeneutische und didaktische Fragen, die Lernprozesse auslösen und die man bei Langenhorst leider vermisst. Würden sie wenigstens an einigen geeigneten Textbeispielen durchgespielt, hätte nicht nur Brecht, sondern auch Religionspädagogen Anlass zum „Lachen".

Motive, Stoffe, Figuren, Formen
Bibel & Literatur Band 4
Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk.2021
268 Seiten
26,95 €
ISBN 978-3-460-08634-0

Zurück