Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Georges Bernanos: Tagebuch eines Landpfarrers

Der vorliegende Roman, 1936 erstmals erschienen, gehört zu den erfolgreichsten Werken des französischen Romanciers und Essayisten Georges Bernanos und fand nach dem Weltkrieg auch im deutschen Sprachraum eine zahlreiche Leserschaft. Der Autor zählt zu den prominenten Vertretern des Renouveau catholique, einer religiös-literarischen Bewegung in Frankreich, die in der Rückwendung zu einem nach den Vorstellungen der Zeit authentischen Katholizismus die Erneuerung von Literatur und Gesellschaft anstrebte. Die unterschiedlichen Strömungen dieser Bewegung vereinte die Abkehr von einer positivistischen, naturwissenschaftlich-technisch geprägten Kultur, von laizistischen republikanischen Traditionen wie auch von einem erstarrten Dogmatismus innerhalb der Kirche. Diesem Zeitgeist setzten die Autoren „unorthodoxe“ Beispiele christlichen Lebens entgegen, an denen christliche Existenz und deren Tiefendimensionen, wie Schuld und Sünde, Gnade und Erlösung, sichtbar werden. Besonders der Priesterroman bot sich an, solche Fragen in exemplarischer Form zu diskutieren.

Bernanos wählt für seine Existenzanalyse den jungen Geistlichen der Landpfarrei von Ambricourt, einer konventionellen flandrischen Gemeinde, die „vom Stumpfsinn (ennui, R. K.) geradezu aufgefressen wird“. Der aus ärmsten Verhältnissen stammende, in mönchischer Einfachheit und Askese lebende, seiner selbst unsichere, aber zugleich schwärmerisch idealistisch eingestellte Pfarrer unternimmt den aussichtslos erscheinenden Versuch, die dumpfe Konventionalität der bürgerlichen Frömmigkeit seiner Gemeinde aufzubrechen und den Widerspruch offenzulegen zwischen der Kirche als Stütze gesellschaftlicher Ordnung und dem wahren Christentum, das er in der wörtlichen Nachfolge und Stellvertretung des leidenden Christus zu leben sich bemüht. Unter ganzem Einsatz seiner gesundheitlich labilen und im Umgang mit Menschen unbeholfenen Persönlichkeit versucht er den Funken eines unmittelbaren Glaubenserlebens in den Herzen seiner verständnislosen und sich ihm mehr und mehr entziehenden Gemeindemitglieder zu entzünden. Erst als es ihm gelingt, der zu seiner Gemeinde gehörenden Gräfin, die aufgrund des frühen Todes ihres Sohnes im Hass gegen Gott und die Menschen verhärtet ist, einen Tag vor ihrem unerwarteten Tod mit sich auszusöhnen, fühlt er nach allen Rückschlägen und Enttäuschungen die Wirksamkeit der Gnade Gottes. Auch zu deren schwieriger und abweisender Tochter findet er schließlich seelsorgerlichen Zugang. Der Graf aber, der die Bemühungen als indiskrete Einmischung in seine Familienverhältnisse deutet, betreibt beim Bischof die Abberufung des Pfarrers. Dazu kommt es nicht mehr. Der junge Geistliche stirbt an einem Krebsleiden, ergeben in sein Schicksal, versöhnt mit der Welt und im Bewusstsein, die Gnade Gottes erfahren zu haben.

Literaturhistorisch ist es verdienstvoll, die religiöse Literatur der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in kommentierten Ausgaben wieder zugänglich zu machen und vor dem Vergessen zu bewahren. Ob sich daraus aber Impulse für die heutige Seelsorge ableiten lassen, erscheint mir fraglich. Denn die endlosen Reflexionen der Befindlichkeit des Pfarrers lesend nachzuvollziehen, ist anstrengend und legt sich belastend aufs Gemüt. Auch haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie auch die religiösen Paradigmen geändert. Aus heutiger Sicht möchte man dem armen Landpfarrer raten: Kehr um und glaub an die frohe Botschaft – suche einen guten Internisten auf und nimm therapeutische Hilfe in Anspruch!

Es ist eine Ironie, dass das allgegenwärtig vermutete Böse am Schluss des Romans dem Herausgeber noch ein Schnippchen schlägt. Der (Druckfehler-) Teufel hat den letzten Satz, der die Botschaft des Autors enthält, so verdorben, dass sie dunkel bleibt. Gern trägt der Rezensent zur Klärung bei und zitiert: „Die Gnade besteht darin, dass man sich vergisst. Aber wenn aller Stolz in uns gestorben wäre, so läge doch die Gnade aller Gnaden darin, sich selbst demütig zu lieben als irgendeinen, wenn auch noch so unwesentlichen Teil der leidenden Glieder Christi.“

 

Regensburg: Pustet Verlag 2015

344 Seiten

26,95 €

ISBN 978-3-7917-2722-6

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