Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gerhard Mayer / Michael Schetsche / Ina Schmied-Knittel / Dieter Vaitl (Hg.): An den Grenzen der Erkenntnis

Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik

Das Buch versucht eine Pionieraufgabe zu übernehmen – nämlich in einem Bereich, der von seinem Image her „esoterisch verseucht“ gilt, Klarheit über das zu schaffen, was im weitesten Sinne empirisch als gesichert gelten kann. Die Fülle der Artikel dieses Handbuches aufzuzählen würde den Umfang sprengen. Deshalb beschränke ich mich auf einige grundsätzliche Betrachtungen und nehme auf die verschiedenen Phänomenbereiche nur exemplarisch Bezug.

Wie schon das Wort Anomalistik sagt, handelt es sich hier um einen Bereich, in dem wiederholbare Experimente naturgemäß nur eine geringe Rolle spielen können (99). Es ist darauf hinzuweisen, dass Anomalien in den anerkannten Wissenschaften vorkommen, dort zunächst stören, aber andererseits einen Erkenntnisfortschritt bis hin zu einer wissenschaftlichen Revolution hervorbringen können (etwa: 78f, 16). Die wissenschaftliche Anomalistik kann man als einen Arbeitsbereich verstehen, der das Außergewöhnliche und Anormale unter dem Maßstab der Abweichung vom Gewöhnlichen, dem Normalen bzw. wissenschaftlich Akzeptierten betrachtet. Deshalb hat die Anomalistik, wenn sie sich als wissenschaftlich versteht, notwendigerweise einen Bezug zur etablierten Wissenschaft bzw. zu einer bestimmten wissenschaftlichen Theorie (24f). Das Problem der wissenschaftlichen Anomalistik ist dabei, dass sie sich nicht einfach an die „etablierte Wissenschaft“ anschließen kann; deswegen „müssen Anomalisten nicht nur die Authentizität der Fakten belegen, die sie vorweisen, sondern auch die Legitimität ihrer Methoden, mit denen sie diese Fakten erhoben haben, und die Plausibilität ihrer Theorien, die sich auf diese Methoden und Fakten beziehen“ (80).

Über das Stichwort „anthropologische Grundfragen“ (31) gewinnt die Anomalistik einen Anschluss an die gesamte Menschheitsgeschichte. Denn zu allen Zeiten haben sich Gesellschaften mit dem Ungewöhnlichen im Gewöhnlichen und der Möglichkeit des „Grenzübertritte(s)“ sowie dem Ereignis bzw. der Herstellung von „Übergangssituationen“ (31) in andere räumliche, zeitliche, psychische, physische oder sozial andersartige Zuständlichkeiten befasst (31). Träume, Psychoperipatien, Hellsichtigkeit, Geistererscheinungen, Besessenheitszustände, Telepathie oder Psychogenese können dann in einem Kollektiv zum Thema werden.

Aus diesem Gesichtspunkte ergibt es sich, dass die „Ursprünge des Glaubens an das Paranormale“ (52) in hohem Maße mit persönlichsten Erfahrungen, Intuition, Bildungsniveau und einem entsprechenden vorprägenden Weltbild zusammenhängen (52-57) – was die Sache für die wissenschaftliche Anomalistik nicht leichter macht. „Außergewöhnliche Bewusstseinszustände“, wie etwa die durch Hypnose erzeugten Zustände oder die durch Meditation zustande kommenden Erfahrungen, können phänomenologisch erfasst werden als berichtete Erfahrungen von insgesamt fünf beschreibbaren „Tiefenbereichen“ (129-134). 

Das, was man empirisch vertretbar über die Nachhaltigkeit von Psi-Forschung, Träumen, Nahtod-Erfahrungen, spontanen Reinkarnationserfahrungen, Spuk, Astrologie, Rutengängerei, Kornkreisen, UFO-Sichtungen und die Theorie der Präastronautik (hier eine Korrektur: zur wichtigen Vorgeschichte gehört der Bezug auf die Positionen der Begründer der Weltraumfahrt) sagen kann, wird in diesem Handbuch zum Thema gemacht. Ein Hauptabschnitt über die Methodologie und Methodik der wissenschaftlichen Anomalistik beschließt den Band.

Aus meiner Zeit als Referent für Religionspädagogik und aufgrund späterer Erfahrungen weiß ich von zyklisch auftretenden esoterischen Moden – gerade auch an Schulen. Leider gibt es einen chronischen Mangel an orientierender Überblicksliteratur. In dieser Hinsicht empfehle ich den Fachkonferenzen die Anschaffung dieses soliden Buches.

Stuttgart: Schattauer Verlag. 2015
504 Seiten m. s-w Abb.
79,99 €
ISBN 978-3-7945-2922-3

 

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