Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Gianfranco Ravasi: „Adam, wo bist du?“

Bei einem Buch mit dem Titel „Adam, wo bist du?“ wird es niemanden verwundern, dass der Rahmen dieses Buches ein christlicher ist, der – dies der theologischen Provenienz des Autors geschuldet – einen exegetischen Schwerpunkt hat. In diesen Rahmen eingespannt ist die Thematisierung grundlegender anthropologischer Fragestellungen nach der Natur des Menschen, nach der Zuordnung der Geschlechter, nach der Bedeutung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse von der Genetik bis zur Künstlichen Intelligenz, nach der Rolle eines Trans- bzw. Posthumanismus sowie nach den Auswirkungen der omnipräsenten Digitalisierung. Für das Selbstverständnis des Menschen in der Zukunft bedürfen diese Fragestellungen einer Klärung.

Dieser kurze Essay besticht durch die Weite des Themenfeldes wie die Breite der angesprochenen Autoren und Autorinnen. Verweise beispielsweise auf die Feministin Judith Butler wie auf den jüdischen Philosophen Edgar Morin, der sich als Atheist versteht, sind geradezu selbstverständlich. Nicht zuletzt ist die unaufdringliche, ganz und gar nicht apologetische Art und Weise, wie Aspekte einer christlichen Anthropologie eingebracht werden, bemerkenswert. Bezug genommen wird alttestamentlich auf die Leitlinien einer Anthropologie von Freiheit und Beziehung, neutestamentlich auf die Inkarnation in ihrer Verhältnisbestimmung von Kontingenz und Transzendenz. Mit beiden biblischen Motivlagen wird das Menschsein in der Moderne mit all seinen Facetten von Größe und Begrenztheit angesprochen.

Der 1942 geborene Autor ist Präsident des Päpstlichen Rates für die Kultur. Dementsprechend ist auch eine Rede von Papst Franziskus an die Vollversammlung dieses Rates beigefügt, die inhaltlich auf der Linie dieses kleinen Bandes liegt. Angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher und kultureller Veränderungen steht das Selbstverständnis des Menschseins zur Debatte. Ein transdisziplinärer Dialog unterschiedlichster Akteure und damit auch des Christentums ist vonnöten. Dass dabei dialektische Fehlformen der Vergangenheit zugunsten einer neuen Synthese aufgegeben werden müssen, wird nachdrücklich unterstrichen.

Der Essay endet mit einem Zitat von Papst Franziskus aus der Enzyklika Laudato si´: „Das Christentum selbst denkt in Treue zu seiner Identität (…) stets neu über sich nach und bringt sich immer wieder im Dialog mit den neuen geschichtlichen Gegebenheiten zum Ausdruck. So lässt es seine ewige Neuheit erblühen.“ (Nr. 121) Dieser kleine, aber feine Essay ist ein gelungenes Beispiel dafür.

Fragen zur zeitgenössischen Anthropologie
Mit einer Ansprache von Papst Franziskus (Neue Kriterien 21)
Aus dem Italienischen übersetzt von Susanne Greiner
Freiburg: Johannes Verlag Einsiedeln. 2018
100 Seiten
13,00 €
ISBN: 978-3-89411-444-2

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