Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans-Joachim Höhn: Experimente mit Gott

Die gängigen Methoden theologischen Denkens führen bei den Studierenden zu Langeweile und Lustlosigkeit. Deshalb will der Autor sich den zentralen Themen des christlichen Glaubens auf einem anderen, dem experimentellen Weg unter dem Motto „Versuch’s doch mal!“ nähern. Ihm liegt daran, nicht nur die Vernunft, sondern auch die Anschauung und die Kreativität einzubeziehen, um für die Sache zu begeistern.

Das 1. Kapitel lädt zum Experimentieren ein. Gegen die dogmatische Sperrformel „Mit dem Glauben experimentiert man nicht“ steht die Tatsache, dass Jesus sich auf Versuche und Experimente einlässt. Gleichnisse mit ihren ungewöhnlichen Szenen zielen auf die Vorstellungsmöglichkeiten seiner Zeitgenossen und leiten ein Umdenken ein. Dieses Vorbild greift die von Höhn skizzierte experimentelle Theologie auf.

Den theologischen Gedankenexperimenten stellt der Autor im 2. Kapitel „Was wäre, wenn?“ eine kurze Typologie experimentellen Denkens voran. Er unterscheidet zwischen explorativen, explanativen, falsifikativen und performativen Gedankenexperimenten. Der kurzen Kennzeichnung ihrer Eigenart folgt jeweils ein veranschaulichendes Beispiel.

Das 3. Kapitel „Nehmen wir einmal an. Theologie in Experimenten“ bildet das Herzstück des Buchs. Hier wendet Höhn seinen Ansatz auf grundlegende Inhalte des christlichen Glaubens an: die Frage nach Gott, nach seiner Beziehung zur Welt und zum Menschen und der Religionen zueinander. Da die experimentelle Theologie gewohnte Denkmuster in Frage stellt und sehr komprimiert, als Crashkurs, konzipiert ist, stachelt sie kritisches Nachfragen an, weiß aber auch um ihren Optimierungsbedarf.

Die theologischen Gedankenexperimente beginnen mit der Frage: Wer ist das eigentlich – Gott? Mit Bezug auf die berühmte Gärtnerparabel zeigt sich: Der Gottesgedanke kommt ins Spiel durch die Begegnung mit einem das Staunen erregenden Phänomen. Dieses provoziert eine Deutung, die übliche Deutungsangebote nicht erfüllen können. Die Unverfügbarkeit Gottes, seine Unabhängigkeit von Zweck-Mittel-Überlegungen wird an zwei Denksportaufgaben illustriert. Gott ist bei einer vernunftgemäßen Lösung in der Praxis als das fehlende Passende gekennzeichnet. Die Veranschaulichung mit Hilfe einer Partitur ermöglicht eine Annäherung an Anselm von Canterburys Gottesrede. Das Prinzip Stimme und Gegenstimme lässt den unverfügbaren Gott Gott sein, wahrt seine absolute Transzendenz, so dass sich der Mensch von Gott für die innerweltliche Lebenspraxis nichts versprechen kann. Dabei bleibt jedoch unbeachtet, dass Welt und Mensch in Gott leben, von ihm umfangen sind. Um den Aspekt von Gottes Präsenz in der Welt geht es in dem Gedankenexperiment „Überall und zugleich nirgendwo“. Die Beziehung zwischen Gott und Mensch kann mit den Metaphern „Fluchtpunkt“ und „Horizont“ veranschaulicht werden: Gott ist da und entzieht sich zugleich, bleibt unnahbar. Der Mensch wird auf eine Reise geschickt. Er hofft, dass ihm unterwegs Gottes Nähe offenbar wird, auf den er zugeht, ihn in der Ferne vermutend.

Die Möglichkeiten und Grenzen der Selbstoffenbarung Gottes zum Menschen kommen im nächsten Gedankenexperiment bei der Beschäftigung mit dem von Kierkegaard überlieferten Märchen vom König und dem armen Mädchen in den Blick. Es fragt sich aber, ob Kierkegaards Lösungsangebot der Selbsterniedrigung Gottes nicht den Unterschied zwischen Gott und Mensch einebnet. Man berücksichtigt nämlich die Tatsache, dass die Selbstvergegenwärtigung Gottes, die Offenbarung, nicht selbstverständlich ist, nur dann, wenn man anthropomorphe Gottesbilder, z. B. das des reichen Königs, aufgibt. Die Selbstoffenbarung Gottes meint nicht, dass jemand oder etwas offenbart wird. Die relationale Kategorie muss demgegenüber betont werden: Gottes Weltverhältnis geschieht in Entsprechungsverhältnissen der Menschen zueinander. Gottes Menschenfreundlichkeit erscheint in der Proexistenz Jesu. Hier übersetzt sich Gottes Offenbarung, seine Selbstvergegenwärtigung, in den Daseinsverhältnissen des Menschen. Sie zeigt und bewahrheitet sich als absolute Zuwendung, gegen die der Tod nicht ankommt. Durch ein solches Verständnis von Offenbarung werden die Transzendenz Gottes und die Geschöpflichkeit des Menschen nicht aufgehoben.

In Anlehnung an die Ringparabel geht es im letzten Gedankenexperiment „Lessing 2.0. Wahrheit im Plural?“ um das Verhältnis der Religionen zueinander. Diese sind auf dem Weg zum Heil gemeinsam unterwegs, womit ihr Wahrheitsanspruch relativiert wird. Dieser muss sich im Handeln bewahrheiten und bewähren. In einer solchen Spiritualität wird das Verhältnis zum Mitmenschen zum Prüfstein für die Beziehung zu Gott. So kommt in den Blick, was Gott von den Menschen will, eine Praxis der Barmherzigkeit. Diese Antwort geben die drei monotheistischen Weltreligionen. Ein guter Schluss für die Experimente mit Gott oder zu schön, um wahr zu sein?

Höhns experimenteller Crashkurs auf hohem theologischem Niveau fördert und fordert konzentriertes, geduldiges Mitdenken und Mitmachen. Seine Veranschaulichungen sprechen Freunde von Denksportaufgaben, mathematisch versierte Zeitgenossen und Liebhaber parabolischer Geschichten an. Der Autor ist sich der Anforderungen seiner Gedankenexperimente bewusst, wenn er mit Papst Franziskus eine zeit- und sachgemäße Theologie als kulturelles Laboratorium bezeichnet. Ein solches Laborieren geht oft mühsam. Dazu werden nach Höhn die Gaben des Heiligen Geistes gebraucht: Mut, Stärke, Ausdauer, Weisheit (vgl. 1 Kor. 12,8-10). Unter diesen Voraussetzungen hilft zudem das motivierende Selbstgespräch: „Ich versuch’s einfach mal!“

Ein theologischer Crashkurs
Würzburg: Echter Verlag. 2021
166 Seiten m. s-w Abb.
14,90 €
978-3-429-05603-2

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