Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans Joas: Im Bannkreis der Freiheit. Religionstheorie nach Hegel und Nietzsche

Als Jürgen Habermas im Jahre 2019 sein umfängliches Alterswerk „Auch eine Geschichte der Philosophie“ vorlegte, reagierte der Religionssoziologe Hans Joas in der Süddeutschen Zeitung mit einer würdigenden und gleichzeitig schneidenden Kritik. Der Philosoph und Soziologe Habermas hatte in seinem Werk die Leitfrage „Was ist Philosophie?“ im Sinne einer genealogischen Rekonstruktion durchbuchstabiert und in der Menschheits- und Philosophiegeschichte eine soziale Evolution hin zu einem nachmetaphysischen Denken, also hin auf die kommunikative Vernunft, entdeckt bzw. konstruiert. Hans Joas kritisiert genau diesen teleologischen Wurf, denn das Verhältnis von Glauben und Wissen sei zu eindimensional beschrieben und Habermas wiederhole mit seiner sozialen Evolution die Fortschrittsgeschichte westlicher Rationalität, die sich zunehmend von Religion emanzipiere und die moderne westliche Demokratie begründe.

Rund ein Jahr später legt nun Hans Joas seine eigene Religionstheorie vor, die sich als Gegenentwurf zu Habermas‘ Philosophiegeschichte der säkularen Vernunft lesen lässt. Joas startet sein Buch mit einem markanten Zitat von Alexis de Tocqueville. Dieses Zitat fasst, hier gekürzt wiedergegeben, Joas‘ Programm in aphoristischer Prägnanz zusammen: „dass der Mensch, ist er frei, gläubig sein muss.“ Joas kommt es nicht auf ein beliebiges Gläubigsein an. Er widerspricht der Mainstreamdenke von einem spezifischen Leitmotiv der Moderne, das Religion zunehmend intellektualistisch verkürzt und eurozentrisch verengt. Joas hingegen versucht seine Religionstheorie in Kritik und Überwindung nicht nur von Habermas, sondern insbesondere von Hegel und Nietzsche zu entwerfen – wie er im Untertitel seines Buches bekennt.

Das Buch besteht aus vier Teilen: In jedem der Kapitel „Ein neues Verständnis von Religion am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts“, „Säkularisierung und moderne Freiheitsgeschichte“, „Die Suche nach einer anderen Freiheit“ und „Das Projekt einer historischen Religionssoziologie“ werden drei bis fünf wirkmächtige Religionstheoretiker des neunzehnten und vor allem des zwanzigsten Jahrhunderts vorgestellt und interpretiert. Einfühlsam und sehr kenntnisreich vollzieht Joas diese Präsentationen. Denn die sechzehn Religionstheoretiker werden nicht nur einzeln erklärt, sondern auch in Vernetzung untereinander und zu anderen Wissenschaftlern vorgestellt. Zwei Drittel dieser Präsentationen gehen auf ältere Veröffentlichungen zurück, sind aber „bei Integration in das vorliegende Buch umgearbeitet“ worden. Die vorgestellten Personen (nur Männer!) reichen von Ernst Troeltsch, Rudolf Otto und Max Scheler über Jon Dewey, Reinhardt Koselleck und Charles Taylor, über Ernst Cassirer, Paul Tillich, Reinhold Niebuhr und Wolfgang Huber bis zu Robert Bellah und José Casanova. Joas selbst ordnet seine genealogische Rekonstruktion ein als „Mittelding zwischen Monographie und Aufsatzsammlung“, als „einen Zyklus von Novellen, durch den aber ein ganzheitliches Bild entstehen soll“.

In Absetzung von Hegel und darin auch von Habermas einerseits und in Kritik an Nietzsche andererseits entwirft Joas im Schluss seines Buches das Bild einer globalgeschichtlichen Genealogie des moralischen Universalismus. Er nennt vier Desiderate für ein angemessenes Verständnis von Religion: (1) Die Selbstständigkeit der Religion mit eigener Binnenrationalität, (2) die historische Kontingenz von Religion, (3) die Idee verdankter Freiheit und (4) die globalgeschichtliche Wendung. Mit dieser vierfachen Revision reklamiert er eine alternative Sicht zu Habermas, aber auch zu Hegel, Marx und Nietzsche.

Hans Joas hat kein Buch für eine breite Leserschaft vorgelegt, doch wünscht der Rezensent ihm viele Leserinnen und Leser über die wissenschaftliche community hinaus. Es macht Freude, Joas‘ klarer Gedankenführung zu folgen, die Religion neu in Kraft und in Grenzen setzt.

Berlin: Suhrkamp Verlag. 2020
668 Seiten
38,00 €
ISBN 978-3-518-58758-4

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