Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hans Küng: Literatur, Kunst, Musik

Der Name und die Theologie von Hans Küng sind untrennbar mit einem mündigen Denken und engagierten Wirken in Kirche und Gesellschaft verbunden. Kaum ein Theologe des 20. Jahrhunderts polarisiert mehr als der 1928 im schweizerischen Sursee geborene Küng, der in der Zeit von Pius XII. in strengster Tradition sein Studium der Theologie aufnahm, mit Johannes XXIII. zu den entscheidenden Mitgestaltern des konziliaren Aufbruchs wurde, unter Paul VI. eine immer ausgeprägtere loyale Opposition in seiner Kirche einnahm und der von Johannes Paul II. schließlich die in der damaligen Glaubenskongregation unter Joseph Ratzinger attestierte Diagnose übermittelt bekam, dass seine offene und kritische Theologie eine derart gravierende Abweichung von der zu geltenden katholischen Lehre aufweisen würde, dass sein Verbleib im theologischen Lehramt unmöglich geworden sei. 1979 wurde Hans Küng unter nationaler und internationaler Aufmerksamkeit seine Lehrerlaubnis entzogen, weil er einmal mehr zu laut nach den theologischen Argumenten für die Unfehlbarkeit des Papstamtes gefragt hatte. Küng dachte nicht daran, sich gehorchend zurückzuziehen, er arbeitete weiter als Professor für Theologie in Tübingen, wurde zu einem der gefragtesten Gesprächspartner in Fragen von Glaube, Theologie und Kirche und erarbeitete das Projekt Weltethos, um für die drängenden, globalen Herausforderungen des Religionsplurals friedensstiftende Wege zu eröffnen. Dabei bleibt Küng für viele in Kirche und Gesellschaft eine stetig widersprüchliche und streitbare Figur: den einen zu kritisch, denen anderen nicht kritisch genug, den einen noch zu katholisch, den anderen schon lange nicht mehr katholisch, hier zu fromm, dort zu forsch. Doch wie versteht sich dieser Ausnahmetheologe selbst? Von wem wurde er beeinflusst und was hat ihn bleibend geprägt?

Der neu erschienene 18. Band der Sämtlichen Werke von Hans Küng, der mit dem schlichten Triptychon-Titel „Literatur, Kunst, Musik“ überschrieben ist, offenbart eindrücklich die Grundzüge seines Denkens, das sich entschieden aus seiner vielfältigen und intensiven Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Kunstformen speist. Für Küng konnte sich das Ringen um Theologie nie im luftleeren Raum ereignen, sondern die Gottesfrage ist für ihn bleibend auf den Menschen verwiesen, der in Literatur, Musik oder bildender Kunst seinen sich selbst übersteigenden Ausdruck zu finden sucht. Für Küng, so wird mit dem Band deutlich, war der Dialog von Theologie und Kunst kein Randphänomen oder gar reine Privatsache, sondern eine wesentliche und bestimmende Facette seines Schaffens.

1984 veranstaltete er an der Universität Tübingen mit dem Literaten Walter Jens ein Symposion zur Verhältnisbestimmung von Theologie und Literatur. Es war ein Austausch der intellektuellen Giganten, die auf ihre Weise das Werk großer Dichter jeweils aus literaturwissenschaftlich-rhetorischer und theologisch-literarischer Perspektive beleuchteten. Küng hatte den Mut, der Literatur das schier unerschöpfliche Potential zuzusprechen, Spuren des authentisch Christlichen in sich zu tragen, ja sogar eine „verborgene Theologie“ zu betreiben. Er stellte sich offen den Fragen, wie sich Theologie im Spiegel der Literatur wahrnehmen kann und welche neuen Formen des Umgangs mit Religion die Literatur entwickeln kann. Dabei war es Küngs Auffassung, dass sich die Theologie davor verwahren müsste, Literatur funktional zur bloßen Illustration und Selbstbestätigung der für wahr erkannten Lehren zu missbrauchen. Vielmehr war es ihm daran gelegen, die Literatur als Resonanzraum für die Bewältigung der wahren Fragen des Menschen auszudeuten. Kritisch formulierte er in seiner programmatischen Begrüßungsrede zu dem einstigen Tübinger Symposion, die den umfangreichen Band passend eröffnet, dass es wohl nicht die schlechteste Frage für Theologen sein dürfte, ob ihr Denken und Reden vor dem Werk von Thomas Mann, Hermann Hesse oder Bertolt Brecht bleibenden Bestand hätte.

Der Band versammelt zunächst acht Doppelvorlesungrn, in denen sich Küng und Jens mit den Schriftstellern der Weltliteratur auseinandersetzten, die im Aufbruch und in der Krise der Moderne neue und tiefgreifende Transformationsprozesse des Religiösen in ihren literarischen Werken entwarfen. Auf Blaise Pascal und den Aufbruch der Moderne folgen Andras Gryphius, Gotthold Ephraim Lessing und schließlich Friedrich Hölderlin. Mit Novalis erfährt für Küng und Jens das Religiöse im Spiegel der romantischen Poesie seine Aufmerksamkeit, auf ihn folgen die Auseinandersetzungen mit Soeren Kierkegaard und sodann die Frage des Widerstreits der Religionslosigkeit in einem der ergreifendsten Kapitel des gesamten Bandes über Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Ausführungen über Religion im Zusammenbruch der Moderne bei Franz Kafka schließen diesen ersten Teil des Bandes klangvoll ab.

Unter dem Titel „Anwälte der Humanität“ widmen sich Küng und Jens sodann ausführlich dem Leben und Werk von Thomas Mann, Hermann Hesse und Heinrich Böll. Küng, der große und überzeugende Humanist, der seine späteren, 2013 veröffentlichen Erinnerungen „Erlebte Menschlichkeit“ nennen wird, erarbeitet hier, wie im Werk dieser Autoren Religiosität und Formen des Christlichen aufscheinen und wie sich bei diesen drei Nobelpreisträgern, die auf je ihre Weise von der Nazi- und Kriegszeit tief geprägt waren, politische Moralität in ästhetischer Form zum Ausdruck bringen lässt. Immer wieder ereignen sich die Ausführungen von Küng und ebenso von Jens dabei in verblüffenden Makro- und Mikroanalysen der einzelnen Werke, in einnehmenden historischen Überblicken und überzeugenden Detail-Deutungen. In diesem Modus arbeiten sie Konstanten und Variationen in der Verhältnisbestimmung von Theologie und Literatur heraus. Als leitende These lässt sich in den einzelnen Beiträgen wie in der Gesamtanlage des Bandes immer wieder neu und plausibel der Gedanke auffinden, wie Literaten die Möglichkeiten und Grenzen des Glaubens in einer sich rasant entwickelnden Moderne sensibel ausloten und dabei radikaler, konsequenter und somit in vielen Fällen aufschlussreicher als Theologen agieren.

Der zweite Teil des Bandes ist Küngs Beschäftigung im Dialog von Musik und Religion gewidmet. Dabei sind es die drei großen Komponisten Mozart, Wagner und Bruckner, in deren Werke Küng Spuren des Christlichen aufzusuchen weiß. Wieder lässt Küng die Werken uneingeschränkt in ihrem Eigenanspruch stehen, verzweckt sie nicht, sondern arbeitet luzid heraus, wie Religion und Musik beide als elementare, vielschichtige und nicht minder ambivalente Menschheitserfahrungen ausdeutbar werden. Keine geringeren Kategorien wie etwa die Sehnsucht nach Erlösung in Wagners „Parsifal“, die Bitte nach Frieden in Mozarts „Krönungsmesse“ oder die Momente des Mystischen in Bruckners Symphonien zeichnet Küng in seinen Ausführungen nach. Wie das von dem Kosmopoliten Küng geprägte Projekt Weltethos vertont sein könnte, führt ein weiteres, ausführliches Kapitel zu der eigens erarbeiteten Komposition „Weltethos“ von Jonathan Harvey aus.

In einem letzten und konzise angelegten Teil erarbeitet Küng noch einmal grundlegende Überlegungen zu dem Verhältnis von Kunst und Sinnfragen. Dieses beschließende Kapitel gleicht einer einnehmenden Meditation, die in einen bewegenden Gedankenaustausch von Küng und dem Literaten Horst Krüger über Bertolt Brechts Gedicht „Gegen Verführung!“ mündet. Es ist eines der großen Lehrgedichte Brechts, das hier eine ausführliche Betrachtung erfährt und das gleichsam in den Kern des mündigen und engagierten Denkens des großen Theologen Hans Küng zielt. Er selbst wusste sich von einer überholten Formelsprache der Theologie und einem falsch verstandenen Gehorsamsglauben nicht verführen zu lassen und suchte nach eigenen Wegen, die befreiende Botschaft des Evangeliums in der Welt der Moderne zu leben.

In dem kürzlich erschienenen Lyrikband „Am Rande des Tages“ widmet Wilhelm Bruners Hans Küng ein berührendes Gedicht; er selbst, Küng, für den der Dialog von Literatur und Theologie eine solch bestimmende Dimension seines Denkens ist, sollte nun also in seiner Person und seinem Werk mit einnehmenden Versen poetisch verdichtet werden. In der Lyrik von Wilhelm Bruners heißt es:

Hans Küng // Im Rollstuhl der kleine / zerbrechliche Mann / ein Großer des Denkens / Widerstandskämpfer / im römisch-katholischen Knast / Nicht müde geworden / an Konzil und Freiheit zu erinnern / Visionär eines Weltethos // Helfende Frauenhände / begleiten dich zum Fest / des zwanzig Jahre Jüngeren / wir bilden Spalier / applaudieren / der eigenen Theologie / er lächelt // er ist angekommen / bei uns.

Dass die einnehmenden, tiefen und weitenden Impulse von Hans Küng zu dem Dialog von Theologie, Literatur, Kunst und Musik, die von diesem Band ausgehen, eine weitere Beachtung erfahren, weil sie die Prägung dieses streitbaren Theologen aufzeigen und dass er damit weiter „bei uns“, in Kirche und Gesellschaft, ankommen möge, sei diesem schwergewichtigen Band als Wunsch mitgegeben. Hans Küng hat mit seinen kongenialen Ausführungen zu Literatur, Kunst und Musik Vorschläge zu einer weiten Theologie des Menschen gemacht. Wir sollten sie annehmen.

Sämtliche Werke Bd. 18
Freiburg: Herder Verlag. 2019
666 Seiten
85,00 €
ISBN 978-3-451-35218-8

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