Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hansjürgen Verweyen: Mensch sein neu buchstabieren

Vom Nutzen der philosophischen und historischen Kritik für den Glauben

Hansjürgen Verweyen gilt nicht umsonst als einer der wichtigsten Fundamentaltheologen der Gegenwart. Klaus Müller hat anlässlich einer Laudatio auf Thomas Pröpper zum 60. Geburtstag berichtet, ein wenig freundlicher Zunftkollege habe ihn und Pröpper zusammen mit Verweyen als einen „der schlimmsten Häretiker nach Karl Rahner“ bezeichnet. Diese Ehrung durch die Hintertür verdanken alle drei ihrem „anthropologischen Ansatz“. 

Diese anthropologische Situierung theologischer Rede zeigt bereits der Titel der hier anzuzeigenden kleinen Schrift: „Mensch sein neu buchstabieren“. Sie ist dazu gedacht, die Inhalte des umfänglichen wie inhaltlich schwergewichtigen Hauptwerks „Gottes letztes Wort“ (2000; inzwischen liegt die 4. überarbeitete Auflage vor) auch „für einen größeren Kreis von Leserinnen und Lesern zu erschließen“ (Klappentext). Dankenswerterweise hat der Autor seine Schriften auch im Internet zugänglich gemacht.

Verweyen gliedert dieses Büchlein nach den drei klassischen fundamentaltheologischen Fragestellungen demonstratio religiosa, christiana und catholica (vernünftige Auseinandersetzung mit Religion, Christentum und Katholizität), um so den universalen Anspruch göttlicher Offenbarung, die an alle Menschen ergangen ist und in der Wendung „Gottes letztes Wort“ zum Ausdruck kommt, „glaubwürdig vertreten zu können“ (ebenfalls Klappentext). Glaubwürdig im Sinne des Autors ist, wer begründete Antworten auf allen drei Ebenen zu geben vermag.

Zur vernünftigen Denkbarkeit von Religion überhaupt führt als ein Phänomen des Alltags und der Lebenswelt – weniger das Fragen als – das Staunen. Wer sich darauf einlässt, kann erfahren, wie sein Denken zwischen „potentieller Unendlichkeit als Verheißung“ und „endloser Unendlichkeit als Situation des Absurden“ oszilliert. Dieses Oszillieren kann zu einer Offenheit für die Auseinandersetzung der „Frage nach einem letztgültigen Sinn“, letztlich zur Frage nach Gott führen. 

Ist dieser begriffliche Grund (transzendental) gelegt, kann untersucht werden, ob sich ein solcher „letztgültiger“ Sinn in der Geschichte erschließen lässt. Ist es möglich, über die durch historische Forschungsarbeit (in der Sicht der 3.Person) zu gewinnenden Fakten hinaus von Menschen und deren Handeln so zu sprechen, dass nicht nur historisches Wissen er-zeugt, sondern ein Glaubensbekenntnis be-zeugt wird? Kann ein damaliges authentisches „Zeugnis“ noch heute ein solches Zeugnis sein? Lässt sich hermeneutisch plausibel religiöse Zeugenschaft aus der Vergangenheit durch den Verlauf der Geschichte hinweg bis in und für die Gegenwart vermitteln?

Verweyen veranschaulicht seine „Argumentation nun Schritt für Schritt anhand von Beispielen aus der Literatur“ (Klappentext), vor allem anhand von Texten der existentialistischen Nachkriegsautoren Wolfgang Borchert und Albert Camus. Die offene Frage des ersten Teils nach einer sinnvollen Existenz (hier ist für Verweyen auch der Ort der Theodizeefrage) führt im zweiten Teil zur Erschließung des Phänomens der Intersubjektivität: „Um sich seiner selbst als frei bewusst zu werden, bedarf der Mensch der Anerkennung durch andere... Ein Leben lang bleibt er auf weitere Anerkennung verwiesen.“ So können sich Menschen gegenseitig zum Bild werden, indem sie ihre eigenen egozentrischen Selbstbilder zerbrechen; Verweyen nennt dies „Bildwerden im Ikonoklasmus“. Hier ist der Ort, an dem Jesus Christus zur Sprache kommen kann.

Der dritte Teil erschließt, inwiefern Jesus Christus authentisch in geschichtlichen Kontexten bezeugt werden kann. Für Verweyen gelingt dies traditionellen Formen der Pastoral nicht, da sie entweder das sakral geglättete Jesusbild der in die Liturgie des Kirchenjahres eingegangenen „Evangelienharmonie“ oder die Wahrscheinlichkeiten des als historisch rekonstruierten Jesus der historisch-kritischen Exegese zugrunde legten; das eine Bild konnte für die Gläubigen so wenig wirksam werden wie das andere. Glaubwürdig (auch im Sinne des fast schon vergessenen Hans Urs von Balthasar) sind einzig die redaktionskritisch zu erschließenden vier Evangelien als vier unterschiedliche, in ihrer jeweiligen Eigenart fassbare Glaubenszeugnisse: „Einheit in Pluralität als Grundlage der Exegese“. Das so betitelte kleine Kapitel biblischer Hermeneutik gegen Ende des Buches gehört mit zum Besten, was Verweyen formuliert hat. Die Festlegung „aller Teilkirchen im Osten und Westen des römischen Reiches..., dass vier Evangelien – nicht mehr und nicht weniger – die in Jesus Christus ergangene Selbstmitteilung Gottes authentisch weitergeben..., ist nicht nur das erste, sondern auch das einzige Bekenntnis der Gesamtkirche, in dem eine völlige Übereinstimmung erzielt wurde.“ Das ist offensichtlich der Begriff vernünftiger Katholizität, auf den einzulassen es sich nach und mit Hansjürgen Verweyen lohnt.


Regensburg: Friedrich Pustet Verlag. 2016
176 Seiten
24,95 €
ISBN 978-3-7917-2772-1

 

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