Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Heiner Wilmer unter Mitarbeit von Simon Biallowons: Hunger nach Freiheit

Dieses Buch verdankt sich laut Titelausweis der Zusammenarbeit zweier Persönlichkeiten. Als eigentlicher Autor zeichnet der Dehonianer-General Heiner Wilmer – und neuen Bischof von Hildesheim –, der das Buch unter Mitwirkung des Journalisten Simon Biallowons verfasst hat. Theologisch-spiritueller Gehalt und journalistische Aufmache wollen in diesem Werk sich also die Waage halten. Mehr als sein hohes Amt empfiehlt den Autor die berufliche Laufbahn als Lehrer und Schulleiter. Der dadurch bedingte gewohnheitsmäßige Umgang mit Jugendlichen macht sich im Schreibstil durch Abweichungen vom strengen Schriftdeutsch überall bemerkbar. Besonders dort, wo es um Emotionen geht, sind Ausdrücke wie „krass, klasse, top …“ keine Seltenheit. Auch deftige Ausdrücke wie „Kloppereien“ kommen wie selbstverständlich vor. Unnütz zu sagen, wie sehr unter diesem Gesichtspunkt das Werk für den Gebrauch im Religionsunterricht geeignet ist.

Das thematisch an der biblischen Gestalt des Mose orientierte Buch besitzt einen stark biographischen Charakter. Dabei lassen sich vor allem zwei Schlüsselerlebnisse des Autors ausmachen, die zu der intensiven Beschäftigung mit Mose geführt haben dürften. Das eine ist die berufsbedingte Begegnung mit der afrikanischen Wüste als ein Sitz im Leben, der demjenigen der Moseerzählungen verwandt erscheint. Das andere ist des Autors Kindheitserfahrung des Stotterns, die zur Redehemmung des Mose eine starke Parallele hat. Diese persönliche Erfahrung kommt zwar nur in einem Kapitel ausdrücklich zur Sprache, man möchte aber vermuten, dass sie fast überall im Hintergrund steht. Besonders hier wird die Nützlichkeit für den Religionsunterricht greifbar: Lehrende bekommen vor Augen geführt, was man im Unterricht alles falsch machen kann und wie es statt dessen besser geht, benachteiligte Schüler können durch das Beispiel eine große Ermutigung erfahren, Bevorzugte hinwiederum lernen, auf scheinbar Schwächere Rücksicht zu nehmen, statt sich voreilig über sie zu erheben und lustig zu machen.

Der biographische Charakter hat zwangsläufig eine stark subjektive Ausrichtung zur Folge. Sie bezieht viele alltägliche Situationen mit ein, lässt dafür aber die geschichtlichen und sozialen Aspekte vielfach außen vor – um von literarkritischen Erwägungen zu Autoren und Schichten gar nicht erst zu reden. In den einzelnen Kapiteln, die die beispielhaften Eigenschaften des Mose ins Allgemeinmenschliche hinein übersetzen, werden Menschen, Situationen, Dinge, Lektüren so beschrieben, wie sie sich aus der persönlichen Wahrnehmung des Autors ergeben.

Das Buch will darum in erster Linie den beispielhaften Weg einer Glaubensgeschichte nachzeichnen, wobei eine katechetische Zielsetzung erkennbar wird. Es gibt jugendlichen Menschen viele allgemeine und wertvolle Hinweise, wie man zu einem gesunden Selbstbewusstsein gelangen kann. Es wird dabei zwar jegliche konfessionelle Engführung und Vereinnahmung sorgfältig vermieden und der Raum einer gewissen „Innerlichkeit“ nicht verlassen. Dieser Raum schließt Taten und Tatkräftigkeit nicht aus, doch werden solche Taten immer nur unter sehr bestimmten Gesichtspunkten berücksichtigt.

Für den Gebrauch im Religionsunterricht wäre es daher zu empfehlen, die spirituellen Betrachtungen des Autors durch zusätzliche geschichtliche und politische Gesichtspunkte zu ergänzen. Vor allem sollten die Urteile und Aussagen des Buches nicht einfach stehengelassen, sondern zur Grundlage anregender Diskussionen genommen werden. So heißt es beispielsweise, Mose hätte vor der Dornbuscherfahrung nur den eigenen Ruhm gesucht. Ist das in seiner Zuspitzung zutreffend oder nicht doch relativierbar? Oder das Abendland hätte seine Seele verloren: Ja, an wen richtet sich der Satz? An die, die offen zu einer rein säkularen Weltanschauung stehen oder an die Frommen, die den Glauben durch fehlende kulturelle und wissenschaftliche Standards und ausbleibende praktische Konsequenzen um ihre Glaubwürdigkeit gebracht haben?

Hier ist sicherlich viel Diskussionsstoff, aber auch Diskussionsbedarf vorhanden, deren Berücksichtigung durchaus zu einer sehr fruchtbaren Verwendung des Buches im Unterricht führen könnte.

Mose – Wüstenlektionen zum Aufbrechen
Freiburg: Herder Verlag. 2018
224 Seiten
20,00 €
ISBN 978-3-451-37945-1

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