Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Helmut Fischer: Eine kurze Geschichte religiöser Weltdeutungen

Helmut Fischer kündigt im Titel eine Geschichte der Weltdeutungen an, im Buch geht es aber ausführlicher um Religionen und Gottesideen. Alles beginnt mit der Herausentwicklung des Menschen aus den Homininen, als deren Hauptmerkmale der Autor den aufrechten Gang, den Gebrauch der Hand und die Entwicklung einer Symbolsprache beschreibt. Die Geburt der Religion sieht er im subjektivischen Paradigma, also in der Frage: Wer hat das bewirkt? Die konkreten Ausformungen der Religion und die Gottesvorstellungen sind für Kulturen vor der Erfindung der Schrift schwer zu definieren, weil wir nur Bilder und Symbole ohne Kommentare haben.

Die Sesshaftigkeit bedeutet den Übergang zu regional eigenständigen Kulturen, von denen Fischer diejenigen näher beschreiben will, die für unsere europäische Religionsgeschichte relevant sind. Die sumerische Kultur schuf um 3000 v. Chr. erstmalig ein Schriftsystem, das viele Jahrhunderte lang benutzt wurde. Rund tausend Jahre später wurden der Schöpfungshymnus Eluma Elisch und das Heldenepos des Königs Gilgamesch geschaffen, die uns Einblick in das Weltverständnis und die Götterwelt der Sumerer geben. Bei den Babyloniern und Assyrern wird die Religion durch sittliche Anforderungen der Götter an den Menschen konkret. Die Griechen haben mit zahlreichen Religionen Kontakt, Homer und Hesiod bemühen sich daher, durch das Generationenschema Ordnung in die Götter zu bringen, die anthropomorph gezeichnet werden und durch Opfer wohlwollend und durch ihre Unterlassung wütend gestimmt werden können. In Rom steht das Wohl des Staates im Zentrum der religiösen Vorstellungen; die Riten sind auf allen Ebenen, vom Familienvater bis zu den Priesterkollegien der Republik, korrekt auszuführen.

Einen Umschwung bedeutet der Eroberungszug Alexanders im 4. Jahrhundert v.Chr. Griechisch wird die Verkehrssprache des östlichen Mittelmeerraumes, auch noch, als das römische Imperium die griechischen Staaten einschloss. Die wachsende Mobilität, insbesondere des Militärs, führt zur Verbreitung regionaler Religionen im ganzen Reichsgebiet. Zum Beispiel stammt der Mithraskult, ein geheimer Kampfbund gegen das Böse, in dem soldatische Tugenden gefeiert werden, ursprünglich aus Persien. Er verbreitet sich über die damalige Welt wie die Verehrung der Isis, die aus Ägypten kommt, Dionysos, Orpheus und Demeter aus Griechenland, Kybele aus Anatolien und viele andere Götter und Helden finden ihre Anhänger überall im Römischen Reich, namentlich in der Hauptstadt. Auch die griechische Philosophie verbreitet sich, populär sind die Bewegung der Stoa, die das Ziel der „Ataraxia“, des Nicht-beunruhigt-werden-Könnens, in den Mittelpunkt stellt, und die Gnosis, die den menschlichen Geist als in seinem Körpergefängnis gefangen erlebt und auf Befreiung durch eine himmlische Erlösergestalt hofft.

Israel entwickelt sich religiös im letzten vorchristlichen Jahrtausend von der Monolatrie, der exklusiven Verehrung eines Gottes, zu einem universalen Gottesverständnis: Gott kann sogar einen fremden König zu seinem Werkzeug machen, um sein eigenes Volk zu strafen. Von den Persern übernehmen die Juden in ihren jüngeren Schriften die Hoffnung auf Auferstehung. An dieser Stelle des Buches differenziert Fischer verschiedene Gottesvorstellungen: Monotheismus (Echnaton, Judentum), Henotheismus (Israel), Pantheismus, Panentheismus (Spätantike, Neuzeit), Dualismus (Persien), Theismus, Deismus (griechische Philosophie, europäische Aufklärung), Monismus (Naturwissenschaften).

Jesus spricht, so Fischer, konventionell von „Reich Gottes“, meint damit aber das, was jederzeit verwirklicht werden kann, wenn die Grenzen von Konvention und Religion übersprungen werden und man sich den Menschen vorbehaltlos zuwendet. Die frühen judenchristlichen Gemeinden wurden durch den Glauben geeint, dass Jesus der verheißene Messias sei; mit Paulus beginnt die Überwucherung des lebenspraktischen Rufes Jesu durch Spekulationen über die Person Jesu. Mit diesem Angebot betritt das Christentum den Religionsmarkt im Römischen Reich, es entwickelt die Ämterhierarchie, beschließt ein Glaubensbekenntnis im Geist der neuplatonischen Philosophie. Doch das monotheistische Paradigma droht angesichts des wissenschaftlichen Fortschritts unterzugehen, während die lebenspraktische Botschaft Jesu vielleicht die Kirche retten könnte.

Helmut Fischers Schreibstil ist angenehm lesbar. Er bietet in dem schmalen Band einen dichten Überblick der Entwicklung religiöser Strömungen. An manchen Stellen habe ich den Eindruck, dass er nicht auf dem neuesten Stand ist: Zum Beispiel müsste die bahnbrechende Entdeckung monumentaler Steinkreise am Göbekli Tepe (Anatolien) durch Klaus Schmitt seit 1994 auch in einer kurz gefassten Religionsgeschichte erwähnt werden. Und hinsichtlich der Zukunftsperspektive, die Fischer für die christlichen Kirchen zeichnet, kann man geteilter Meinung sein.

Von den Anfängen bis zum Christentum
Zürich: Theologischer Verlag Zürich. 2021
102 Seiten
14,90 €
ISBN 978-3-290-18442-1

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