Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Hermann-Josef Venetz: Die Bergpredigt

Das Thema „Bergpredigt“ ist kein neues – und dennoch immer wieder eine Herausforderung. Auch das Taschenbuch von H.-J. Venetz erhebt keinen Anspruch auf die Darbietung von Novitäten, stellt es doch die Überarbeitung eines vergriffenen Bändchens von 1987 dar. In der bezüglich des Forschungsstandes und der gesellschaftlichen Entwicklung leicht aktualisierten Neufassung gewährleistet es nichtsdestotrotz einen fundierten und immer noch frischen Einstieg in diesen Zentraltext christlichen Glaubens und Lebens.

Ein hinführender Teil skizziert zum einen im Vergleich von matthäischer Bergpredigt und lukanischer Feldrede die Entstehungsgeschichte über die Logienquelle bis hin zu Jesus. Zum anderen werden gängige Deutungsmodelle präsentiert; ihnen gemeinsam ist die Tendenz zur Entschärfung, wohingegen der Autor dafür plädiert, die provokative Kraft der Bergpredigt durchaus ernst zu nehmen.

Im Folgenden geht Venetz in chronologischer Reihenfolge auf die einzelnen Passagen von Mt 5-7 ein, wobei die Ausführungen zu den Antithesen als Visionen eines neuen Menschen und einer neuen Gesellschaft einen der Schwerpunkte bilden. Seine Interpretationen lassen den breit aufgestellten exegetischen Hintergrund spüren und beziehen zahlreiche Aspekte synchroner wie auch diachroner Exegese mit ein. Niemals aber verfallen sie in einen Fachjargon, der dem avisierten Ziel eines weiten Leserkreises theologisch interessierter Laien entgegenstünde.

Inhaltlich entgeht der Autor gleichermaßen der Versuchung, die Bergpredigt zu banalisieren und handzahm zu machen, wie auch der Gefahr, sie in die fernen Höhen der „Unerfüllbarkeit“ zu heben. Jenseits aller zu einfachen Lösungen lädt er immer wieder dazu ein, Spannungen und Ambivalenzen auszuhalten. Es gilt einerseits, die Fremdheit der Texte aus einer zeitlich wie kulturell fernen Welt aufmerksam wahrzunehmen – und das selbst bei solch vertrauten Texten wie dem Vaterunser. Andererseits liest Venetz die Bergpredigt beständig mit den Augen der Gegenwart: Jede und jeder von uns ist angesprochen, sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen und politischen Kontext. Auf diese Weise bleibt „das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ nie nur eine fromme Leerformel.

Schon in den Variationen der Evangelisten, im lebendigen Gewachsensein der Texte zeigt sich, dass Treue zu Jesus nicht im starren Festhalten am Wortlaut der Überlieferung besteht. Denn an erster Stelle geht es nicht um bloße Texte, sondern um das Leben selbst, dem es sich mit „Behutsamkeit und Freiheit“ (so das Auslegungsmotto von Venetz) zu nähern gilt: um das Leben der ersten christlichen Gemeinden damals, für die die Evangelisten schreiben, ebenso wie um die Aufgabe, sich im konkreten Hier und Heute auf die Vision Jesu einzulassen und sie in kreativer Treue zu leben.

Am Ende des Buches stehen so die energische Aufforderung zu einer Entscheidung, die ins Handeln führt – und das staunende Erschrecken der Rezipienten damals wie heute vor der Kühnheit der Predigt Jesu (vgl. Mt 7,28f).

Biblische Anstöße
Kevelaer: Verlagsgemeinschaft topos plus. 2018
168 Seiten
13,00 €
ISBN 978-3-8367-1110-4

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