Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Holger Zaborowski: Andächtig leben

Mit den „Denkanstößen für den Alltag“ von Holger Zaborowski liegt eine in Hardcover gebundene Sammlung von 73 ein- bis eineinhalb Seiten langen Texten vor, der ein knappes Vorwort vorangestellt ist. Überschrieben sind die kurzen Texte mit jeweils einem nominalisierten Verb, das vom „Anfangen“ bis hin zum „Zweifeln“ verschiedensten Aspekten unseres Lebens, „dem vielfältigen Handeln des Menschen“, gewidmet ist. Hierbei werden jeweils vier bis zwölf solcher Denkanstöße unter den Rubriken „Freude und Glück“, „Glauben und Wissen“, „Ruhe und Bewegung“, „Leib und Leben“, „Zeit und Geschichte“, „Sprache und Schweigen“, „Leid und Tod“, „Gott und Mensch“ sowie „Gelassenheit und Besinnung“ zu Blöcken zusammengefasst. Auf diese größeren Abschnitte stimmt jeweils ein ganzseitiges Schwarzweißfoto – ein Heißluftballon, der Schatten zweier Fußgänger etc. – ein.

Die Texte entstanden ursprünglich für die Kolumne „Liturgie im Leben“ der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“, erschienen in den Jahren 2012 bis 2014, und liegen dem Leser nun in leicht überarbeiteter Form als Buch vor. Hierbei nähern sich die einzelnen, gut zu lesenden Denkanstöße anhand des Wortfeldes bzw. der Begrifflichkeit, die sie jeweils im Titel tragen, „dem Geheimnis des Menschseins – und dem Geheimnis des christlichen Glaubens“ an. Sie sollen dazu einladen, anhand des alltäglichen Tuns über das Menschsein nachzudenken.

In einem der ersten Denkanstöße des Buches, dem „Wohlwollen“ gewidmet, weist der Verfasser darauf hin, wie wichtig die gewählte und eingenommene Perspektive bei der Betrachtung von Menschen, Tieren und Natur sei. Und dies gilt offensichtlich auch für die Beurteilung dieses geistlichen Büchleins. Dabei liegt es im Wesen der Textgattung, dass der Leser je nach persönlicher Lebenssituation, Stimmung und spirituellem Bedürfnis von dem einen Gedanken(gang) mehr angesprochen werden mag als von einer anderen Überlegung. Ebenso mag von der individuellen Perspektive abhängig und nicht immer eindeutig zu bestimmen sein, wo man im Einzelnen die Grenze zwischen Allgemeinplatz und tiefgehendem, für das geistliche Leben hilfreichen Gedanken zieht – beides lässt sich im Buch finden. Je nach Perspektive wird man es als Stärke oder Schwäche auslegen, dass die Denkanstöße überwiegend allgemeine anthropologische Gedanken entwickeln und die Brücke zum christlichen Glauben explizit oft nur im letzten Absatz der Texte geschlagen wird.

Schließlich werden vor allem diejenige Leserin und derjenige Leser das Buch mit Gewinn zur Hand nehmen, die eine Wohlfühl-Spiritualität suchen. Zwar werden mit „Trauern“ oder „Verlieren“ auch den Schattenseiten des Lebens eigene Kapitel gewidmet, doch erscheinen diese durch die im gesamten Buch gewählte Perspektive der dritten Person („der Verzweifelte“, „man leidet“) den existentiellen Anfragen gegenüber distanziert. Wer hingegen das Menschsein in all seinen Facetten auszuloten versucht, hätte sich mehr Kapitel wie jenes über das „Erzürnen“ gewünscht. Denn auch die weniger schönen Seiten unserer Existenz und Persönlichkeit – etwa das Neiden – sind ins geistliche Leben zu integrieren.

Es ist schade, dass die ausgewählten Fotografien, die im Original wohl farbig sind, nur schwarzweiß abgedruckt werden; der Rezensent hätte sich subtilere Bilder gewünscht – die gewählten sind eher der Ästhetik einer Gemeindekatechese der 1990er Jahre verhaftet. Da einige der Texte in engem Bezug zum Kirchenjahr bzw. zur Liturgie oder zu bestimmten Perikopen stehen, wäre ein Register sinnvoll gewesen. Wer einen Gedanken für eine Statio – etwa zum Fest Allerseelen – sucht, könnte so schneller den entsprechenden Text identifizieren. Dem Verlag ist anzulasten, dass er auf dem Umschlag mit der wissenschaftlichen Biographie des Autors wirbt (Studium und Promotion u.a. in Cambridge und Oxford, Professor für Geschichte der Philosophie), aber dann doch ein Buch verlegt, das sich von den üblichen Angeboten in diesem Genre nicht unterscheidet.

Kurzum: Es kommt auf die Erwartung an, mit der das Buch zur Hand genommen wird. Der Gewinn wird ganz verschieden ausfallen. Wer in der Buchhandlung im Regal für „Lebenshilfe und Spiritualität“ fündig wird, ist mit diesem Buch gut bedient und wird manchen inspirierenden Denkanstoß für sich entdecken.

 

Freiburg: Herder Verlag. 2015

159 Seiten m. s-w Abb.

16,99 €

ISBN 978-3-451-31307-3

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