Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Horst Seidl: Einführung in die Philosophie des Mittelalters

Ein Neoscholastiker, der sich selbst als (thomistisch-aristotelischen) „Realisten” bezeichnet, führt anhand ausgewählter Autoren in die Philosophie des Mittelalters ein. Zu Recht verweist er eingangs darauf, „dass sich aus den Überlegungen verschiedener Denker zu bestimmten Themen zusammenhängende Lehrstücke ergeben, die uns berechtigen, umfassend von einer Philosophie des Mittelalters zu sprechen”. Diese Einsicht in die Eigenständigkeit der Epoche von 500 bis 1500 hat sich allerdings auch außerhalb der scholastischen Traditionen im engeren Sinne schon seit den 1990er Jahren durchgesetzt (z.B. bei De Rijk, Flasch, Heinzmann, Imhof, Libera, Schulthess, die im gesamten Buch alle nicht erwähnt werden).

Gelungen scheint dem Rezensenten vor allem die abgewogene Auswahl der behandelten Autoren. Dionysos Areopagita, Maximus Confessor und Johannes Scotus (Eriugena) fehlen eben sowenig wie alle großen Autoren des 13. und 14. Jahrhunderts. Ob man allerdings so ohne weiteres im Johannes-Prolog und im apokryphen Jakobus-Evangelium, also in narrativ geprägten Texten aus dem Umfeld des Neuen Testamentes, „metaphysische Aspekte” ausfindig machen kann, wäre kritisch zu befragen. Dass der Verfasser in seinen einleitenden Bemerkungen ausführliche Überlegungen zur Unterscheidung von Philosophie (Metaphysik) und Religion (Theologie) entfaltet, ist methodisch gerechtfertigt und daher durchaus begrüßenswert. Er will damit ein hinreichendes Entscheidungskriterium dafür angeben, ob der jeweils zu behandelnde Text der Philosophie oder Theologie zuzuordnen ist. Das ist in zweierlei Hinsicht zu begrüßen: Beide „Haltungen oder Betätigungen” (wie sie Seidl unter Berufung auf Thomas von Aquin zu Recht nennt), werden sachlich klar auf eine Weise unterschieden, die dem Selbstverständnis der meisten behandelten Autoren entsprechen dürfte. Zugleich machte es dem Leser deutlich, dass das damalige Methoden- und Problembewusstsein durchaus modernen „standards” zu entsprechen in der Lage ist – wenn sie diese nicht sogar überbietet. Gleichzeitig zeigt der Verfasser, dass auch in explizit theologischen Kontexten der Autor ohne weiteres Methoden- und Sacherörterungen einschieben kann, die über diesen Kontext hinaus von allgemeinem philosophischem Interesse sein können.

Der Untertitel der Veröffentlichung kündigt die Darstellung von „Hauptprobleme[n] und Lösungen” an. Stichwortartig knapp werden die wesentlichen Inhalte von philosophischen und theologischen Schriften referiert und vom aristotelischen Realismus des Verfassers her bewertet, der ganz aus einem grundsätzlichen Gegensatz zu den platonisierenden Traditionen der Spätantike und des Mittelalters gesehen wird und sich kaum mit kontroversen Deutungen auseinandersetzt.

Der Verfasser ist der Meinung, dass „die Philosophen der Neuzeit” (Descartes, Leibniz, Kant) „auf grundlegende Fragen über den Menschen, die Welt und Gott” nicht mehr in gleichem Maße überzeugende Antworten gefunden hätten wie die mittelalterlichen Autoren. Ihnen sei jener „Realismus” verloren gegangen, welcher lehre, „dass die menschliche Vernunft als Grundlage ihrer aktiven Denktätigkeiten eine rezeptive Haltung hat, mit der sie die Dinge, sich selbst und Gott als vorgegebene Realitäten erfasst”. Hier wird offenbar ein verdinglichender (und auf platte Weise univoker) Wirklichkeitsbegriff neuscholastischer Prägung anachronistisch auf antike und mittelalterliche Autoren übertragen, die alle – und gerade auch Platon und Aristoteles taten dies – in ihren jeweiligen Entwürfen einer Metaphysik daran arbeiteten, das differenzierte Gefüge von Sprache, Denken und Wirklichkeit in hinreichender Gegliedertheit zu erschließen.

Es schadet der Absicht Seidls, der sich bemüht, die mittelalterlichen Philosophen heutigen Studenten und Interessenten nahezubringen, dass er die Vielfalt der Ansätze und Auseinandersetzungen der mittelalterlichen Denker – die auf ganz unterschiedliche Weise die ihnen zugänglichen platonischen und aristotelischen Schriften in ihre platonisierenden Denkweisen einbeziehenden Kirchenväter, die eigenständigen Neuentwürfe der „Früh"- und „Hoch"-scholastik, die neue Rezeption des Aristoteles von Cordoba und Basra her, das neue Interesse an Logik, Metaphysik und Natur und nicht zuletzt die Spannungen mit kirchlichen Behörden und denen, die theologische Traditionen schützen zu müssen glaubten, die ersten Dialogansätze mit Judentum und Islam etc. – über einen Kamm schert. Auch wenn man von der systematischen Beschränkung auf die Darstellung von Hauptproblemen zentraler Texte absieht, bleibt festzustellen, dass der Verfasser weder Augustinus noch Anselm und Abaelard oder Meister Eckhart und Cusanus nur ansatzweise gerecht wird.

Wer eine Einführung lesen möchte, um einen ersten Zugang zu der bunten und diskussionsintensiven Welt des Philosophierens im Mittelalter zu finden, sollte sich von der eher trockenen Darbietung Seidls nicht abhalten lassen, tiefer in das Thema einzusteigen. Bereits der erste Band von Johannes Hirschbergers „Geschichte der Philosophie”, die vor mehr als fünfzig Jahren geschrieben wurde, kann (wie natürlich auch jede neuere Darstellung) die genannten Autoren und Probleme näherbringen – ohne die hier sich einstellenden Verengungen und Problemverluste.

 

Freiburg/München: Karl Alber Verlag. 2014

160 Seiten

18,00

ISBN 978-3-495-48648-1

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