Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Huub Oosterhuis: Alles für Alle

Ende der 1960er gab es eine Zeit, in der die Spätfolgen der lateinischen Liturgie behoben werden sollten. Dabei schossen pastorale „Übersetzer“ von Gebeten und Messtexten, Traktaten und Katechismen aus dem Boden und blühten. So entstand zwischen Bern und Amsterdam ein neuer Sound – und den lieben wir wie seine zahlreichen Autoren, ganz besonders aber Huub Oosterhuis. Kein Krankenbesuch, keine Andacht ohne das kleine Büchlein im Plastikeinband. Und die ganz Mutigen begannen selbst „kreative Liturgien“ zu erproben und „politische Nachtgebete“ zu organisieren.

Angesichts der überdeutlichen nachkonziliaren Defizite erregten Oosterhuis' Texte, wie etwa die Litanei von der Anwesenheit Gottes, die Hoffnung, näher an den Leuten zu sein. Und dann war da noch der besondere Sound of the sixties – raunend wie grob übersetztes Niederländisch, warm und modern. Was die Modernität anbetrifft, so waren es eher wir, die Redner und Lehrer, denen diese besondere, extra-reiche und mit seltsamen Wendungen gespickte Rede zu neuer Sicherheit verhalf. Das ist fast 40 Jahre in der Versenkung verschwunden und der besonderen, auch musikalischen Vorliebe Weniger anheimgefallen. Jetzt erscheint ein neues Buch, das die Gelegenheit gibt, die Hintergründe noch einmal zu betrachten.

„Alles für alle“ versteht sich in der Nachfolge der (holländischen) Katechismen, bespricht also „Alles“ des Glaubens und wendet sich an „Alle“, ist nicht konfessionell gebunden. Nun bedeutet „Alles“ hier vor allen Dingen eine bestimmte biblische Perspektive mit ausgeprägten alttestamentlichen Akzenten und gelegentlichen Ausblicken auf großkirchliche Lehren und Praktiken, nicht eine globale Welttheorie. Diese Beschränkung zieht eine genauere Bestimmung von „Alle“ nach sich: Oosterhuis wendet sich an alle Suchenden guten Willens und mögliche Mitstreiter der eigenen lokalen studentischen ekklesia.

Nach wie vor sind die Textdeutungen überzeugend und anregend. Der Autor bringt biblische Quellen zum Sprechen: Auch ohne historische Exegese zu betreiben, beginnt es „zu Dir zu sprechen“. Die Zumutungen, die daraus folgen, werden deutlich unterstrichen und ihre mystischen Wurzeln benannt. Das alles ist nicht eigentlich neu, wird aber verständlich und fesselnd formuliert. Viele Einzelheiten rufen geradezu danach, eins zu eins in das lehrende Sprechen übernommen zu werden.

Und doch bleibt ein gewisses schales Gefühl. Wer macht etwas falsch? Die Großkirche, die Jenseitstheologie betreibt. Was ist ethischer Inhalt der Religion? Das Liebhaben. Wen liebhaben? Die Armen liebhaben. Das ist alles nicht falsch und auch nicht platt. Aber es fehlen die für einen Katechismus wesentlichen Stichworte: Gott lieben, der Nächste, Erschaffung, Leiden, Sünde und Vollendung. Sicher, das schließt das Recht der Stichworte des Autoren nicht aus, übersieht auch nicht die gelegentliche Erwähnung. Aber dies wahrzunehmen könnte die drohende Enge der Argumentation verhindern.

Viel wäre zu retten durch einen weniger verrätselten Titel. Wer „Alles für Alle“ will, lässt nichts für den Einzelnen, denn alles ist schon vergeben. Das vorangestellte Motto des Buches „Gott alles in allem“ besagt einen eschatologischen Zustand – der Sohn unterwirft am Ende sich selbst dem Vater, damit Gott alles in allem sei – und das hat mit dem angezeigten großen Liebhaben wenig zu tun. Als Beschreibung der Intentionen einer lokalen Glaubensgemeinschaft würde dem Text kaum an Sympathie verloren gehen, seiner Glaubwürdigkeit hingegen aufgeholfen werden.

Ein Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert
Herausgegeben von Cornelis Kok
Aus dem Niederländischen von Frank Bestebreurtje
Ostfildern: Patmos Verlag. 2018
237 Seiten
22,00 €
ISBN 978-3-8436-1014-8

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