Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Huub Oosterhuis: Psalmen

Adventsseminar 2014 in Haus Wasserburg der Pallottiner in Vallendar. Thema: „Verse, wie Brot“. Es geht um die Psalmen. Wir machen in einer Runde mit 40 Erwachsenen von 18 bis 76 Jahren eine Echomeditation zu Psalm 51 in der Einheitsübersetzung. Dabei sind die Teilnehmenden eingeladen, nach zweimaligem Verlesen des Textes Worte, Sätze, oder freie Kombinationen von Beidem laut auszusprechen und in den Raum zu stellen. All das, was bewegt, anspricht, freut oder ermutigt – und das ist nicht wenig. Erst danach ist der Ring freigegeben für Gespräch und Diskussion. Und die konzentriert sich schnell auf die andere Seite des Psalms, seinem Singen von „Frevel“, „Blutschuld“ und Stellen wie „In Sünde hat mich meine Mutter empfangen“. Am Ende lesen wir den Psalm, wie ihn Huub Oosterhuis in „Psalmen“ neu dichtet. Großes Erstaunen, Kopfnicken, Verstehen, als es dort plötzlich heißt: „Schrubb den Schmutz von mir ab, / meine Intrigen, mein schroffes / Beharren auf meinen Lügen, / poliere mich rein.“ Und: „Ich bin nicht in Sünde gezeugt, / faule Frucht aus dem Schoß meiner Mutter, / ich bin angefault von Verrottung ... operiere mich.“

Wer von Huub Oosterhuis’ „Psalmen“ einfachhin eine rasch und leicht verstehbare – allenfalls noch aktualisierte – Übersetzung des biblischen Psalmenbuches erwartet, sollte die Finger davon lassen. Denn einfachhin übersetzen kann Oosterhuis nicht, weder einen biblischen, noch einen altehrwürdig liturgischen Text, und die Psalmen sind gar beides. Seit 60 Jahren leistet er mit seinem theopoetischen Schaffen vielmehr eine zweifache Übersetzungsarbeit, treibt ihn doch die Suche nach einer Poesie, die das Leben in seiner Ganzheit und zugleich Heutigkeit zum Ausdruck zu bringen vermag – und dies in einer „lebendigen“ Sprache. Seinen Psalmen merkt man an, dass bei jedem der 150 Lieder Oosterhuis im ersten Schritt seine exegetischen Hausaufgaben macht. In gut jüdischer Lehrhaustradition ist er in seinem eigenen Amsterdamer Lehrhaus im steten Dialog mit exegetischen Könnern wie Alex van Heusden, Kees Kok und vielen anderen gleichgesinnten Theologinnen und Theologen. So lässt er die biblischen Psalmen auch sein, was sie sind: jüdische Texte, die in einem bestimmten politischen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Kontext beheimatet sind und die nicht einfachhin von uns Heutigen zurecht gebogen oder gar christianisiert werden dürfen, auf dass sie leichter verdaulich würden. Die Texte aber, die dann aus seiner Feder fließen, zeugen von seinem zweiten Übersetzungsvermögen: Er weiß, was uns Heutige bewegt, an Hoffnung, Zweifel, Torheit, Freude, Lust und Ängstlichkeit. Vor allem aber kennt er auf diesem Hintergrund die An-Fragen der Menschen an biblische Texte, theologische Schulen, an Predigt und „christlichen“ Lebenswandel und geht nicht gönnerhaft-belehrend über sie hinweg. Er nimmt sie ernst und formuliert sie in seine Lieder hinein. So beginnt Psalm 23 etwa bei ihm unter dem Vorbehalt eines Zweifels: „Du, mein Hirte? Nichts würde mir fehlen.“ Und wo der Psalm bekennt: „Ich fürchte kein Unheil“, nuanciert Oosterhuis: „Muss ich in den Abgrund, die Todesschlucht, / dann packt mich Angst – bist du bei mir, / werde ich nicht sterben vor Angst.“ Sein Psalter beinhaltet eher so etwas wie „liederen bij naar psalmen“, Lieder „dicht bei“ und „in der Nähe von“ Psalmen. So wie sich die Aggada, die erzählerisch-poetischen Anteile im Talmud, ja auch den biblischen Texten und seinen Kommentaren vertiefend zugesellt. Das geht so weit, dass man sich bei manchem Psalm bei oberflächlicher Betrachtung fragt, was er noch mit dem Urpsalm gemein hat. Wer sich freilich die Mühe macht, die verdichteten Worte seiner Psalmen mit Andacht zu betrachten – so wie ja auch ihre biblischen Ursprungstexte gut jüdisch meditierend gemurmelt oder in monastischer Tradition betrachtend gekaut und nicht heruntergeleiert werden wollen – wird Erstaunliches entdecken. Vor allem, dass in Oosterhuis’ Psalter die Psalmen von Neuem sind, was sie ursprünglich waren: Lieder der Armen und Unterdrückten, radikal diesseitig, bissig realistisch, politisch engagiert und anspruchsvoll moralisch. Nie aber sind sie Ausdruck individualistischer Frömmigkeit und unter keinen Umständen auf ein fernes Jenseits vertröstend. Vielmehr irritieren sie. Sie laufen über von ohnmächtiger Wut gegenüber den Unrechtsbetreibern unserer Welt. Die werden in den meisten einfachen Psalm-Übersetzungen ja als „Gottlose“ bezeichnet, als hätte man es hier mit areligiösen Menschen zu tun. Aber im Hebräischen heißen sie „rasja“, und das bedeutet soviel wie „schuldig am Unrecht, das geschieht“. Oosterhuis hat dafür ein brandneues Wortpaar gefunden: „ploert en schender“, „Lump, Schwein und Schänder“ nennt er sie, ein inniges Zusammengehen von Gewissenlosigkeit und Gewalttätigkeit.

Bei unserem Seminar beschäftigen wir uns einen ganzen Vormittag auch mit Psalm 69. Die Teilnehmenden sollen allein oder in Kleingruppen einen Abschnitt, der sie besonders anspricht, kreativ umsetzen: in einem Kunstwerk, einem Lied, einem szenischen Spiel, wie auch immer. Eine Gruppe präsentiert uns schließlich, wie unser diesjähriger Adventskranz in der Pallottikirche auszusehen hat: ein rot-weißer Rettungsring auf dunkel-blauem Tuch, vier schlichte Kerzen. Dann lesen wir den Psalm nach Oosterhuis: „Rette mich, Gott, meine Seele steht unter Wasser. / Ich versinke in saugendem Schlamm, / fortgerissen, kann nicht mehr stehen, gehe unter – / ich bin aus der Luft geschleudert ins Meer / wie ein Stein.“ Und: „den dich Liebenden löst du die Fesseln ,/ baust Städte für sie auf / und für ihre Kinder – / damit wir dort zusammen / mit Fremden und Flüchtlingen wohnen. / Du Befreier von Sklaven / auf ewige Zeiten.“ Unsere Leute verstehen und fühlen sich verstanden.

Freiburg: Herder Verlag. 2014
320 Seiten
22,99 €
ISBN 978-3-451-32364-5

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