Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Huub Oosterhuis: Sei hier zugegen

Lehrgedichte haben im Jesuitenorden eine lange Tradition. Seit dem 16. Jahrhundert gibt es sie über Musikinstrumente, Schießpulver, Schokolade, Kaffeebohnen, Fischerei, Seefahrt und vieles andere. Lerninhalte sollten, so das didaktisch-pädagogische Interesse, anders als trocken-wissenschaftliche Abhandlungen auf feinsinnige, durchaus kunstvolle, aber verständliche und kreative Art und Weise „volksnah“ vermittelt werden. Neben über 400 liturgischen Liedtexten, zahlreichen Essays, Gebeten und Gedichten weist die Bibliographie von Huub Oosterhuis, dem ehemaligen Jesuiten aus Amsterdam, immer wieder Lehrgedichte auf. Sie sind eigentlich für den Gebrauch außerhalb des kirchlichen Raums bestimmt wie „Het Lied van de Aarde “ (Lied von der Erde, 1998)“, „Het Lied van de Eeuw“ (Lied von dem Jahrhundert, 1999) oder „Het Lied van de Woorden“ (Lied von den Worten, 2007). In dieser Reihe steht auch „Hier aanwezig. Een Leerdicht over Jezus van Nazaret“, wie der Titel der holländischen Originalausgabe aus dem Jahr 2014 lautet.

Vermeidet der Herausgeber im Deutschen auch den Begriff „Lehrgedicht“ – vermutlich, um keine unliebsamen schulmeisterlichen Assoziationen aufkommen zu lassen –, so geht es der Sache nach um das, worum es dieser Gattung immer schon ging: „Huub Oosterhuis ist kein akademischer Theologe, nicht einer, der wissenschaftlich über ‚Gott‘ spricht. Wenn er von ‚Gott‘ spricht, spricht er poetisch, als ‚Theopoet‘. Und der Gott, über den er spricht, ist keine allgemeine religiöse Gottheit, kein allmächtiges, höchstes Wesen oder ‚Etwas‘, nicht der Gott der Philosophen, sondern der ganz spezifische, eigenartige Gott der Bibel, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott des Mose und der Propheten. Und der Gott Jesu“, wie Übersetzer und Herausgeber Cornelis Kok in seinem Nachwort ausführt. Und genau diesen in seinem gesamten poetischen und literarischen Schaffen ureigenen Ansatz merkt man dem kleinen Büchlein aus 60 doch sehr persönlichen und manchmal sogar überraschenden Betrachtungen an, die sich einer Collage gleich zu einem originellen und inspirierenden Bild zusammensetzen und dabei ungeahnte Einsichten und Aha-Erlebnisse über Jesus von Nazaret und einen selbst zeitigen.

Damit ist die zweite jesuitische, eher spirituelle Tradition benannt, die allenthalben im Buch zu spüren ist: die Betrachtungen des Lebens Jesu nach der Methode der „Geistlichen Übungen“ des Ignatius von Loyola, die sich stark an das innere Anschauungsvermögen des Betrachtenden richtet. „Versuchen, ihm möglichst nahe zu kommen, zu ihm zu gehören. Dich gleichsetzen mit ihm, dich in ihn verwandeln, seinen Geist einüben, denn du musst, du höchstpersönlich, mit Gott weiß wem und wie viel anderen zusammen, zu ihm werden, zu seinem Leib in dieser Welt, zu seiner Präsenz, zu seiner ausstrahlenden Kraft, seiner Liebesenergie... Das war der Auftrag“, so erinnert sich im Nachwort Oosterhuis selbst seiner jesuitischen Vergangenheit, nicht ohne selbstkritisch anzufügen: „Was für ein Auftrag – für wen hältst du dich eigentlich?“

Der Autor hält sich in seiner Nacherzählung des Lebens Jesu an die Chronologie vornehmlich des Lukasevangeliums bis in die Apostelgeschichte hinein, ergänzt durch besondere johanneische und paulinische Akzente. Jede Betrachtung kann für sich allein genommen werden, einige sind als Einzeltexte in den früheren Jahren des Dichters entstanden und als Lieder vertont und somit dem ein oder der anderen bekannt, wie „Wir waren Kinder“ (Nr. 6) oder „Ein Reicher ging in Purpur und Kristall“ (Nr. 29). Es finden sich viele der „noch irgendwie bekannten“ Jesuserzählungen: von der Taufe Jesu (Nr. 10) über die „Heilung des Besessenen bei Gerasa“ (Nr. 21), die „Parabel vom verlorenen Sohn“ (Nr. 28) und die „Tempelreinigung“ (Nr. 39) bis hin zur „Emmausgeschichte“ (Nr. 53). In einem exegetisch fundierten und an der Lebenswelt von Schülern orientierten Religionsunterricht, der die Bibel nicht ängstlich oder verschämt verschweigt, können Oosterhuis‘ Texte die Auseinandersetzung mit dem biblischen „Original“ auf den verschiedensten Ebenen bereichern: Sie können zum einen helfen, den Kontext (Ökonomie, Politik, Ideologie) des biblischen Textes und so seine Sinnspitze zu erfassen. Sie regen zum zweiten an zum Eintauchen in den Text mit Verstand, aber eben auch mit Herz und Bauch. Sie ermutigen drittens zum eigenen kreativen Umgehen mit biblischen Erzählungen und – indem sie Widerstände, Zweifel und Ambivalenzen ins Wort fassen und sich so irgendwie glaubwürdiger als vieles andere erweisen – beflügeln sie schließlich die eigene Sehnsucht nach und Ahnung von „dem Anderen“.

Derjenige, der Oosterhuis‘ Betrachtungen jungen Menschen nicht zumuten mag, kann sich an ihnen abarbeiten, warum dieses Büchlein jedem empfohlen ist, der sein eigenes religiöses und spirituelles Leben befeuern möchte. Denn es erzählt Jesus von Nazaret nach, damit Menschen Grund und Lust finden, „zu gehen IHM nach“. Gerade die kürzeren Betrachtungen, die oft nur von einem einzigen biblischen Satz inspiriert sind, haben es in sich, wie jene zur Erwählung der Zwölf (Nr. 14): „Eine Menge, die versucht, ihn zu berühren, / und sieben Fischer, die er fangen lehrt. / Die Donnersöhne, Judas, der Dolchträger/ aus Kerijot. Zwölf hat er ausgewählt. / Er rief beim Namen, die er selber wollte. / Aus meinem Elfenbeinturm rief er mich heraus.“

Jesus von Nazaret nacherzählt
Herausgegeben und ins Deutsche übersetzt von Cornelis Kok
Ostfildern: Patmos Verlag. 2017
128 Seiten
16,00 €
ISBN 978-3-8436-0894-7

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