Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Ingolf U. Dalferth: God first

 

Der evangelische Theologe Ingolf U. Dalferth beschäftigt sich mit dem Profil des evangelischen Glaubens und kommt darüber hinaus auf grundsätzliche Fragen des theologischen Denkens zu sprechen. Es handelt sich bei dem Buch um eine Sammlung von Vorträgen und Vorlesungen. Den Auftakt bildet das Thema des Buchtitels: Die Reformation als Revolution. Die Reformation als Revolution „der christlichen Denkungsart“ zu bezeichnen, ist von Immanuel Kant inspiriert, der im Zusammenhang seiner praktischen Philosophie von einer „Revolution für die Denkungsart“ spricht. Doch während bei Kant die Revolution bei uns beginnen muss, liegt nach Dalferth bei den Reformatoren die revolutionäre Aktivität bei Gott. Sie verkündigen eine „spirituelle Revolution“, die Gott für den Menschen herbeiführt. Dalferth unterstreicht das reformatorische Plädoyer für eine „Tiefenpassivität“ des Menschen, die all unseren Aktivitäten zugrunde liegt. Damit unterscheidet sich für den Autor die reformatorische Sicht des Menschen und seiner Gottesbeziehung von einem bis in die Gegenwart verbreiteten katholischen Modell, das Erlösung als Interaktionsprozess zwischen Gott und Mensch und nicht radikal als Gabe Gottes versteht. Noch stärker ist damit aber die moderne Subjektvorstellung mit ihrer Autonomie und vermeintlichen Schöpferkraft kritisiert.

An diese Profilierung des reformatorischen Erlösungsgedankens schließen sich Dalferths Ausführungen zum reformatorischen Freiheitsbegriff an, der gegenüber a) einem katholischen Modell der Kooperation eines freien Menschen und eines freien Gottes und b) einem aufklärerischen Modell einer dem Menschen innewohnenden Handlungsmacht, das Gute zu verwirklichen, stark gemacht wird. Bei den Reformatoren wird unter Freiheit nicht eine Wahlfreiheit zwischen Gut und Böse verstanden, sondern eine Macht, das Gute zu verwirklichen. Gott allein kommt diese Macht zum Guten zu, an welcher der Mensch im Glauben unverdienterweise Anteil bekommt.

Die Konsequenzen der reformatorischen Sichtweise setzen sich im Wissenschaftsverständnis evangelischer Theologie fort. Evangelische Theologie hat das Handeln Gottes am Menschen zum Thema. Mit dieser Verpflichtung auf die Wahrheitsfrage gerät die Theologie in Konflikt mit der modernen Transformation des Wissenschaftsverständnisses. (Förderungswürdige) Wissenschaft ist heutzutage an dem Ideal der Naturwissenschaft und deren Wahrheitsbegriff orientiert. Es sollen möglichst öffentlich relevante Fragestellungen verfolgt und quantifizierende Verfahrensweisen einbezogen werden. Damit bekommt Theologie, wenn sie bei ihrem Thema bleibt und ihre Arbeit nicht auf die Analyse religiöser Phänomene verschiebt, wie es in der evangelischen Theologie häufig geschieht, eine gewisse Ausnahmestellung in der Vielfalt der Wissenschaften.

In einem abschließenden Kapitel kommt Dalferth auf die Frage nach dem Monotheismus zu sprechen. Besonders erwähnenswert erscheint mir seine Kritik an der Vorstellung, man teile mit Juden und Muslimen eine allgemeine monotheistisch Gottesvorstellung und habe daneben noch die trinitarische Besonderheit. Der Theologe macht deutlich, dass es in der Logik des Monotheismusgedankens liegt, Gott trinitarisch zu verstehen. Weil der Mensch immer schon auf Gott bezogen ist und Gott sich auf ihn bezieht, kann er sich überhaupt auf den einzigen Gott in Wahrheit beziehen. ‚Untrinitarisch‘ gedacht würde man Gott zu etwas neben anderem machen und damit verfehlen.

Das sind nur einige Thesen und Erkenntnisse dieses Buches, die in dieser Kürze nur ungenügend dargestellt werden können. Aber sie geben vielleicht einen Eindruck von der Klarheit und analytischen Kraft, mit der Dalferth wesentliche Probleme von Theologie und Glaube in der Moderne bedenkt. Man merkt seinen Gedankengängen an, dass hier jemand engagiert für die christliche Wahrheit eintritt und sie immer wieder pointiert zum Leuchten bringt.

Der erste Adressat des Buches scheint die evangelische Theologie zu sein, die Dalferth wieder auf die Mitte ihrer wissenschaftlichen Bemühungen aufmerksam machen will. Doch sind seine Thesen und Erkenntnisse so wichtig für das Selbstverständnis von Theologie und Kirche in der heutigen Gesellschaft, dass man das Buch zum selektiven Lesen gerne allgemein an der Theologie Interessierten empfehlen möchte. Trotz – oder gerade wegen – des scharfen Fokus auf die evangelische Theologie wird auch der katholische Leser großen Gewinn aus der Lektüre ziehen.

Die reformatorische Revolution der christlichen Denkungsart
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt. (2018) 22019
298 Seiten
28,00 €
ISBN 978-3-374-05652-1

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