Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Irmtraud Fischer: Liebe, Laster, Lust und Leiden. Sexualität im Alten Testament

Mit dieser gründlichen Studie zur Rolle der Sexualität im AT wird eine wichtige Lücke geschlossen. Es erübrigt sich auszuführen, warum ein solches Buch für den Religionsunterricht ein wichtiges Hilfsmittel sein kann bei Schülerinnen und Schülern mit entsprechenden Fragestellungen.

Die Autorin hat mit einer nicht einfachen Schwierigkeit zu ringen. Da Sexualität für das AT kein eigenständiges Thema darstellt, sondern immer nur im Zusammenhang mit anderen Themen auftritt, könnte die Gefahr bestehen, die Frage nach der Rolle der Sexualität von außen an die Texte auf Kosten der ursprünglichen Aussageabsicht heranzutragen. So weiß die Autorin aus ihrer exegetischen Allgemeinbildung, dass viele Erzählungen welterzeugende Mythen darstellen, so dass damit „herausragende Ereignisse erzählt werden, nicht der klaglos funktionierende Alltag“. In ihren Einzelexegesen schlägt sich dieses Wissen jedoch nicht immer nieder, weil andere Interessen im Vordergrund stehen.

Die Autorin widmet den sozialgeschichtlichen Tatsachen und Entwicklungen, die sich auf Bräuche und Geschlechterrollen beziehen, große Aufmerksamkeit und sorgt für entsprechendes Hintergrundwissen. Formgeschichtliche und religionsgeschichtliche Aspekte finden dagegen weniger Berücksichtigung. So könnte man Rebekkas Unterstützung bei Jakobs Erschleichung des Erstgeburtssegens in Gen 27 leicht in Verbindung bringen zu außerbiblischen Mythen, nach welchen immer die Muttergöttinnen durch Listen der neuen Göttergeneration die Zukunft ermöglichen; mit Blick auf die Freitagsdemonstrationen der Jugend vielleicht gar nicht so uninteressant. Für die Autorin ist es jedoch vor allem das Anzeichen einer gestörten Beziehung zu Ihrem Ehemann Isaak. Auch der vorletzte Kapitelabschnitt, der sich mit der Gottesmetaphorik befasst, konzentriert sich vor allem auf die Bildebene und weniger auf die Sachebene. Die Frage, warum gerade die Sexualität dazu geeignet erscheint, über die individuelle Beziehung hinaus auch kosmische, religiöse und gesellschaftliche Prozesse zu symbolisieren, muss sich die Leserin und der Leser selbst beantworten.

Manche Auslegungen wirken daher etwas hausbacken, wenn etwa der erste Schöpfungsbericht den Geschlechterunterschied hauptsächlich wegen der Fortpflanzung ins Spiel bringen soll, wo doch dieser Unterschied bei den Tieren, die denselben Vermehrungsauftrag erhalten, gar nicht erwähnt wird. Dann soll plötzlich doch die kanonische Reihenfolge der Schöpfungsberichte genauso, wie man früher geglaubt hat, der Chronologie entsprechen und der zweite Bericht der jüngere sein? Man will in neuerer Literatur, so die Autorin, in der Vertreibung aus Eden Hinweise auf das Exil und die Vertreibung aus dem gelobten Land entdeckt haben. Über die Entsprechungen mag man sich streiten (Vertreibung aus Eden unwiderruflich, Exil dagegen weder endgültig noch für die gesamte Bevölkerung). Davon abgesehen wird doch nur deutlich, wie sehr das Land immer noch Thema im zweiten Schöpfungsbericht ist. Für den ersten dagegen hat Gott die ganze Welt erschaffen, ist überall gegenwärtig und hat alle Menschen aller Völker als seine Ebenbilder bestimmt. Würde hier die Annahme nicht doch Sinn machen, dass der erste Schöpfungsbericht den später angefügten – aber früher verfassten – zweiten Schöpfungsbericht bewusst dadurch korrigiert, dass er gerade nicht die tierisch-biologische, sondern die menschlich-freie, nicht ausschließlich der Fortpflanzung, sondern der gegenseitigen Bestätigung als Gottesebenbilder dienende Sexualität aus dem Schuldzusammenhang von Gen 3 durch Voranschickung herauslöst?

Trotz dieser kritischen Anmerkung muss lobend herausgehoben werden, wie die Autorin allen Fehlinterpretationen der Schöpfungsberichte im Sinne der einseitigen Bevorzugung einer bestimmten sexuellen Orientierung den Boden entzieht. Besonders diese Passagen sind für eine gute Aufklärung und für den Religionsunterricht eine wertvolle Basis. Dasselbe gilt für den wichtigen Hinweis auf das relativ späte Alter jener Texte, die ausdrücklich die Homosexualität verurteilen, während durchaus nicht die gesamte Bibel dieser Ansicht folgt.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Das Buch stellt auf relativ kleinem Raum eine umfassende Darstellung des Themas Sexualität im Alten Testament dar. Dabei steht die Frage nach der persönlichen Beziehung der Liebenden im Vordergrund. Die Autorin nimmt die Bibeltexte als Beispiele für gelungene, gescheiterte oder problematische Beziehungen und hat entsprechend die Buchkapitel angeordnet. Viele der „Beziehungsgeschichten“ werden einfach nacherzählt mit besonderen Schwerpunktsetzungen. Unter diesem Gesichtspunkt bietet das Buch die beste Grundlage. Wer darüber hinaus auch etwas über die weiteren Bezüge von Liebe in der Bibel in Hinblick auf Familie, Gesellschaft, Politik und Religion erfahren möchte, muss anfangen, selbständig mit dem Buch zu arbeiten und sich von den manchmal einengenden Auslegungen und Blickwinkeln der Autorin durch eigenständiges und kreatives Kombinieren zu lösen.

Stuttgart: Kohlhammer-Verlag. 2021
176 Seiten
19,00 €
ISBN 978-3-17-037026-5

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