Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jakob Johannes Koch (Hg.): Inklusive Kulturpolitik

Inklusion ist in aller Munde. Sie umfasst als emanzipatorische Leitidee alle Lebensbereiche: vom Kindergarten und Schule über den Beruf bis hin zum ganz persönlichen Umgang mit Menschen mit einer körperlichen und/oder geistigen Einschränkung. Im Kern geht es bei der Inklusion um gesellschaftliche Teilhabe auf Augenhöhe – und damit um ein elementares Menschenrecht. Auch Menschen mit einer Behinderung, von denen es in Deutschland 18 Millionen gibt, sollen am ganz normalen Leben teilhaben. Das klingt eigentlich ganz selbstverständlich, aber das ist es noch lange nicht. Sobald die Debatte um die Inklusion vom Kopf auf die Füße gestellt wird, also konkret wird, beginnt der Streit. Gerade im Bereich von Erziehung und Schule wird zurzeit heftig um die Ausgestaltung von Inklusion gestritten. Die Menschen merken, dass Inklusion einen Preis hat. Sie ist nicht umsonst zu kriegen. Und sie beginnt vor allem im Kopf. Ohne eine Veränderungsbereitschaft bei jedem einzelnen bleibt die Rede von einer inklusiven Gesellschaft eine Floskel.

Im Kulturbereich steht die Auseinandersetzung, was inklusive Kulturpolitik bedeutet, erst ganz am Anfang. Dabei ist der Kulturbegriff spätestens seit dem Ausspruch von Hilma Hoffmann in den 1970er Jahren von der „Kultur für alle“ per se inklusiv und demokratisch – theoretisch. Praktisch tun sich nach wie vor Barrieren auf. Angefangen bei der physischen Zugänglichkeit zu Kulturveranstaltungen und die Anerkennung von Menschen mit einer Behinderung als Künstler bis hin zum Recht auf eine künstlerische Ausbildung. Nur ganz wenige Menschen mit einer außergewöhnlichen künstlerischen Begabung gelingt trotz größter Widerstände eine künstlerische Karriere wie z.B. dem Schauspieler Peter Radke, dem Bariton Thomas Quasthoff oder jüngst dem Schauspieler Samuel Koch. Vor diesem Hintergrund ist es besonders verdienstvoll, dass der Referent für Kulturfragen bei der Deutschen Bischofskonferenz Jakob Johannes Koch ein Buch herausgegeben hat, das erstmals die Frage stellt, wie inklusiv die deutsche Kulturpolitik ist. Der Untertitel „Menschen mit Behinderungen in Kunst und Kultur“ erweckt den Eindruck, dass es sich um Porträts von Menschen mit Behinderung im deutschen Kulturbetrieb handelt, was sicher auch ein interessantes verlegerisches Vorhaben gewesen wäre. Das Buch ist aber vielmehr eine Zusammenstellung verschiedener, aber auch recht ähnlicher Perspektiven auf das Thema Behinderung und Kultur. Es besteht aus vier Teilen: Der erste Teil beschreibt die Grundlegung einer inklusiven Kulturpolitik, im zweiten Teil geht es um die Kunst von Menschen mit Behinderung. Der dritte Teil beschreibt die ganzheitliche Barrierefreiheit in Kunst und Kultur und der vierte Teil stellt schließlich drei Künstlerpersönlichkeiten in längeren Interviews vor. Die Zusammenstellung der einzelnen Beiträge erscheint dem Rezensenten etwas zufällig und redundant. Ein wirklich roter Faden, der das Thema entwickelt, ist nicht zu erkennen. Freilich ist es interessant, auf fast 50 Seiten von der Kunst von Menschen mit Behinderung von der Antike bis heute zu erfahren, mehr Prägnanz hätte diesem Kapitel aber gutgetan. Vieles erscheint in diesem Buch gut gemeint. So sollten bspw. ausdrücklich unterschiedliche Zielgruppen bei den potenziellen Lesern berücksichtigt werden, also auch Leser mit einfachen, nicht akademischer Bildung oder mit einer Leseschwäche, ja sogar Leser, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Ein Glossar am Ende jedes einzelnen Beitrags für erklärungsbedürftige Wörter und Ausdrücke soll dabei helfen, Bildungsbarrieren abzubauen. Leider erweist der Band dem Anliegen der Inklusion damit einen Bärendienst. Ein Artikel wird nicht dadurch lesbar und verständlich, indem man ein Glossar anhängt, sondern indem der Artikel zielgruppengerecht angelegt und formuliert ist. Auch wenn der Band „Inklusive Kulturpolitik“ erstmals eine Leerstelle in der Diskussion um Inklusion im Kulturbereich ausfüllt, enttäuscht leider etwas seine Ausführung etwas.

Die Interviews mit drei beeindruckenden Kunstschaffenden lohnen aber die Lektüre des Sammelbands. So wenn Peter Radke bilanzierend selbstkritisch feststellt: „Ich habe meine Inklusion letztlich nur erreichen können, weil ich mich den Normen der Nichtbehindertenwelt voll angepasst habe.“ Solange Menschen mit einer Behinderung ihre künstlerische Begabung nur durch eine selbstlose Anpassungsleistung verwirklichen können, sollte man inklusive Kulturpolitik besser mit Anführungszeichen schreiben.

Menschen mit Behinderung in Kunst und Kultur
Kevelaer: Butzon & Bercker. 2017
288 Seiten
25,00 €
ISBN 978-3-7666-2406-2

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