Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jörg Phil Friedrich: Der plausible Gott

Der Unternehmer und Kolumnist Jörg Phil Friedrich (geboren 1965 in Wolgast, Studium der Physik, der Meteorologie und der Philosophie) befasst sich in diesem Buch mit der seit geraumer Zeit wieder vermehrt publizierten Gottesfrage aus nicht-theologischer und in diesem Fall explizit nicht-gläubiger Perspektive. Er will damit „vor allem für Toleranz werben“ (11) mit dem Argument, dass eine religiöse Weltsicht ebenso plausibel sei wie eine atheistische, ganz im Sinn von Kants erkenntnistheoretischem Grunddilemma (das allerdings an keiner Stelle erwähnt wird), dass die Existenz Gottes weder beweisbar noch widerlegbar sei. Dabei versteht der Verfasser sein Vorgehen weniger apologetisch, schon gar nicht in Bezug auf einen christlichen Gottesglauben, als vielmehr fragend. In den – lesenswerten, z.T. ausufernden – Anmerkungen heißt es: „Ich verteidige hier kein Gotteskonzept, das ich vorher schon gehabt habe, sondern gewinne aus dem Unvermögen des atheistisch-materialistischen Weltbildes ein solches Konzept.“ (171) In diesem Konzept wird nicht nur die Frage behandelt, wie plausibel es sei, an Gott zu glauben, sondern auch die, welcher Gott hierfür plausibel sei. Dabei wird Plausibilität zwischen Wissen und Meinen angesiedelt, als eine Überzeugung, die nachvollziehbar und konsistent begründet, aber nicht von allen geteilt werde. Friedrich bemerkt selbst, dass sich in ihm persönlich „in letzter Konsequenz und tief im Innern ... der Gottesglaube bisher nicht festsetzen“ (10) konnte.

In den vier Kapiteln zu den Themen Existenz, Geist, Naturgesetze und Ergründbarkeit Gottes finden sich verständlich erläutert wesentliche Standards wissenschaftlicher Erkenntnistheorien wiedergegeben – mit Referenzen vornehmlich auf Merleau-Ponty, Heidegger, Wittgenstein und Feyerabend; Bezüge u.a. auf Herder, Peirce oder Husserl hingegen fehlen.

Das erste Kapitel beantwortet die erkenntnistheoretische Frage, inwiefern es gerechtfertigt sein kann, von der Existenz von etwas auszugehen, primär in der Tradition pragmatischer bzw. neopragmatischer Philosophien. Was bedeutet es, wenn wir beispielsweise sagen, es gibt Bäume, es gibt Gedanken, es gibt Organisationen, es gibt Zahlen, es gibt Romanfiguren, es gibt Naturgesetze? Gewöhnlich unterscheiden wir Dinge in Raum und Zeit von davon unabhängigen Sachverhalten. In beiden Fällen kommt Friedrich in Übereinstimmung mit modernen naturwissenschaftlichen Konzepten – im Übrigen ohne Erwähnung der Weichenstellung Humes, der auch Hawking gefolgt ist – zu dem Schluss, dass es um jeweils bessere Erklärungen gehe, die sich für ein erfolgreiches Agieren „in der gemeinschaftlichen Praxis des Umgangs von Menschen mit ihrer Welt“ (67) bewährten. Entitäten materieller, immaterieller, kollektiver, mathematischer, fiktionaler oder theoretischer Art seien letztendlich innerhalb solcher Erklärungen unterstellte Gebilde, von deren Existenz auszugehen hilfreich sei, solange sich keine alternativen Erklärungen durchsetzten. Welche Gründe kann es unter dieser Voraussetzung dafür geben, „sich der Existenz eines Gottes gewiss zu sein“ (68) und der Existenz eines welchen Gottes?

Diesen Fragen widmet sich das zweite, umfangreichste Kapitel mit Blick auf die Fähigkeiten des menschlichen Geistes einerseits zu subjektivem Bewusstsein und andererseits zu übersteigender Selbsttranszendenz. Beides entzieht sich bis heute einer restlosen naturwissenschaftlichen Erklärung, wie sich beispielsweise im Dissens ausdifferenzierter dualistischer und monistischer Mind-body-Konzepte zeigt, auf die das Buch allerdings nicht eingeht. Vielmehr erläutert es anhand von Natur- und Gemeinschaftserleben die „Offenheit für die Wahrnehmung von Transzendenz“, in der Erfahrung des Angesprochen-Seins von und der Teilhabe an einem „unendlichen Geist, den wir hier Gott nennen“, worin sich Vorstellungen begründen, mit diesem göttlichen Geist „ins Gespräch kommen“ (104) zu können. Religiöser Glaube erscheint hier als ein in den geistigen Fähigkeiten der Menschen angelegtes Phänomen, für das es dann ebenso plausibel evolutionspsychologische Erklärungen geben kann, die Friedrich allerdings für nicht hinreichend hält. Dasselbe gilt nach seiner Auffassung für ästhetische und moralische Wahrnehmungen der Menschen oder für künstlerische Inspirationen, was an eine Romantik des Genius erinnert. Die Seele wird zu einer Form der Empfindsamkeit aus dieser geheimnisvollen geistigen Öffnung heraus.

Im erheblich kürzeren dritten Kapitel wird im Wesentlichen ausgeführt, dass und inwiefern zwischen Naturgesetzen und Schöpfung kein Widerspruch bestehen müsse. Denn einerseits erkläre eine Weltbetrachtung nach Gesetzmäßigkeiten nicht alles und andererseits dürfe zugleich ein Gott diese nicht infrage stellen. Damit folgt der Verfasser den Vorgaben Humes: Schöpfung ja, Wunder nein! Plausibel sei vielmehr, „dass Gott uns als Partner im Schöpfungsprozess anerkennt“ (144) in Freiheit, was technischen Fortschritt und Verantwortungsbewusstsein einschließe. Das Fazit des fünften Kapitels lautet entsprechend: „Ein plausibler Gott möchte nicht angebetet und verehrt werden, er kann uns nicht vergeben, was wir anderen oder der Schöpfung angetan haben, und er kann niemand von uns dafür belohnen, ihm zum Ruhm zu handeln ... Schließlich gibt uns ein solcher Gott auch keine Hoffnung über unser endliches Leben hinaus ... Der Sinn meines Lebens muss ganz allein in diesem Leben gefunden werden, im Guten, das ich tue, im Wahren, das ich erkenne und teile, und im Schönen, das ich schaffe.“ (65f.)

Dieser pessimistisch anmutende Schluss fordert zur theologischen Auseinandersetzung heraus, weil er auf den ersten Blick einem biblischen Verständnis widerspricht. Er bewegt sich ganz offensichtlich in einer vom Deutschen Idealismus geprägten deistischen Tradition, die bis in die Radikalität einer Philosophie der Absurdität hineinführt, wie sie u.a. bei Camus begegnet, und von dem Überlegungen, wie sie Friedrich in seinem Buch anstellt, weiter profitieren könnten. Wird stattdessen in diesem Buch – gegen Camus – die Idee eines freundlichen Erklärungslückenfüller-Gottes als plausibel und für gutes Handeln erfolgreich erklärt? Jedenfalls versperrt diese Idee – mit Camus – Fluchtwege ins Jenseits: jetzt einer religiösen Sonderwelt und dann eines von der Hölle geschiedenen Himmels. Nicht nur deshalb verspricht Friedrichs Plädoyer für eine Plausibilität Gottes aus atheistischer Sicht eine zum kritischen Nachdenken über eigene Glaubensüberzeugungen anregende Lektüre.

Welche Erfahrungen sprechen für die Existenz eines Gottes, und was kann man über diesen Gott sagen?
Freiburg/München: Karl Alber Verlag. 2019
206 Seiten
29,00 €
ISBN 978-3-495-49122-4

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