Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Jürgen Bärsch: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes

Jürgen Bärsch gelingt das Meisterstück, in einem kleinen Band die Entwicklung der Liturgie in ihren verzweigten Ritenfamilien von den Anfängen bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil so spannend zu erzählen, dass im Leser von einem Kapitel zum nächsten das Gespür für die historische Dimension kirchlichen Gottesdienstfeierns wächst. Umbrüche, Krisen und sich wandelnde Mentalitäten erfordern Positionsbestimmungen, was es in dieser und jener Zeit heißt, Christ zu sein, und wie die Kirche ihr Selbstverständnis in ihren Liturgien feiern will. Menschliche Bedürfnisse prägen Form und Inhalt des Gottesdienstes. Liturgien wecken Bedürfnisse und wirken in das alltägliche Leben hinein. Das Sakrale durchdringt das Profane oder bietet ihm Widerstand; das Profane wirkt ein auf das heilige Spiel der Liturgie und wird seinerseits dadurch verändert.

Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen summarischen Zusammenfassung der vorgängigen Erkenntnisse und bündelt die neuen zum Schluss in ein paar Sätzen, so dass der Leser an jeder Stelle des Buches mühelos einsteigen kann. Ein Glossar an Fachwörtern mit Erklärung rundet das Werk ab.

Neben einem kurzen Ausflug in die liturgiegeschichtliche Entwicklung der Orthodoxie zeichnet Bärsch mit einprägsamen Beispielen aus allen Jahrhunderten die Geschichte des Gottesdienstes des lateinischen Westens nach. Der Leser wird auf eine Reise mitgenommen: vom jüdischen Tempel-, Synagogen- und Hausgottesdienst über die zwar prächtige, aber auch nüchtern spätantike päpstliche Liturgie, die ihrerseits die fränkische ersetzte, nicht ohne von dieser opulent an Riten und Gebeten aufgeladen zu werden, um in die dinghaft-realistische Schaufrömmigkeit des Hoch- und Spätmittelalters zu münden. Der Form nach immer reicher, vom inneren Vollzug der Gläubigen hingegen beängstigend verarmt, allen innerkirchlichen Reformversuchen trotzend, provozieren unglaubliche Missstände eine liturgische Neubesinnung der Reformatoren. Im gegenreformatorischen Zeitalter des Barock stark polarisiert, feiern beide Konfessionen in ihren Liturgien die Wahrheiten ihres Bekenntnisses in schroffer Abgrenzung, nicht ohne sich überraschend anzunähern und zu berühren: im großen Ritenkehraus der Aufklärung; in der romantischen Kehrtwende von steriler Vernunft zu einer den ganzen Menschen ergreifenden Sehnsucht nach verloren gegangener Gottesnähe im Symbol gotischer Kathedralen; in den historistischen Wiederbelebungsversuchen vergangener Baustile und Frömmigkeiten; im Aufbrechen erstarrter Formen und theologischer Reflexionen der Liturgischen Bewegung bis hin zum Dekret Sacrosanctum Consilium des Zweiten Vatikanischen Konzils und zur durch Papst Paul VI. in die Tat umgesetzten liturgischen Erneuerung. Liturgie – von Anfang an unglaublich vielfältig, in einem ständigen Prozess der Veränderung, immer wieder in Facetten oder grundsätzlich reformiert. Jede Reform hat eine lange, wechselvolle Rezeptionsgeschichte, in deren Folge sie sich bewährt oder in ihrer Grundintention kassiert wird. Sie wendet sich gegen Missstände und erzeugt mit der Zeit anderen Reformbedarf durch manche Einseitigkeit im Kampf um Erneuerung.

In der emotional geführten liturgischen Debatte unserer Tage um Zeitgenossenschaft, Widerständigkeit gegen den Zeitgeist, Selbstverständnis der Kirche und Verstehen der Welt erfahren alle Positionen durch diese Liturgiegeschichte eine heilsame Relativierung. Sich stets verändernde Lebensbedingungen der Gläubigen bedingen immerwährende Suchprozesse nach einer geeigneten Form und Sprache, um im Wort Gottes der Heiligen Schrift und in der Feier der Eucharistie als gegebene Konstanten das Lob Gottes erklingen zu lassen. Liturgiereformen wie die des Zweiten Vatikanischen Konzils sind eher die Regel als die Ausnahme, wenn man mit dem langen Atem des Historikers durch die Geschichte geht.

 

Regensburg: Pustet Verlag. 2015

208 Seiten m. Abb.

19,95 €

ISBN 978-3-7917-2721-9

Zurück