Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Julia Enxing: Und Gott sah, dass es schlecht war

Wer Wokeness und Gendersternchen, Tierrechtsdebatten und Veganismus, Befindlichkeits- und Vulnerabilitätsdiskurse für Bubble-Themen einer linksliberalen und sehr deutsch-gesinnungsethisch gestimmten Elite von Besserverdienenden hält, wird sich bei der Lektüre dieses Buches mächtig aufregen – zumal dann, wenn „die Gefahr besteht“, dass die damit verbundenen Anliegen in das Mindset von Kirche und Christentum aufgenommen werden könnten. Denn Julia Enxing, Professorin für Systematische Theologie an der TU Dresden, hat sich genau das zum Ziel gesetzt. Auf der Linie der Enzyklika Laudato Si entwirft sie Konturen einer aus Bibel und sensibler Alltagswahrnehmung gespeisten Schöpfungsspiritualität und plädiert für die Installierung einer „speziesübergreifenden Verantwortungsgemeinschaft“, die Pflanzen und Gezeiten einschließt.

Im Prolog sowie eingestreut in die einzelnen Kapitel offenbart die Autorin ihre Motivation, sich mit „dem Leben“ und der leidenden Kreatur theologisch auseinanderzusetzen und nicht – wie ursprünglich biographisch angelegt – aus Sicht der Veterinärmedizin. Im ersten Abschnitt erfolgt sodann eine Auslegung der beiden Schöpfungserzählungen aus der Genesis, die lt. Enxing von einer veganen Lebensweise träumen und den „kompostierbaren Menschen“ voraussetzen. Das zweite Kapitel nimmt die mittlerweile in die Umgangssprache eingegangenen Begriffe Anthropozän, Kapitalozän sowie Technozän auf und erläutert deren Sinn anhand einiger Blitzlichter wie Tierausbeutung, Lebensmittelverschwendung und Müllexport. Hier wie auch im folgenden Abschnitt macht Enxing auf das anthropozentrische Branding aufmerksam, das unter dem Sammelbegriff „Tier“ oder „Wald“ den Lebewesen ein individuelles Erleben abspricht. Statt um Sortieren und Etikettieren müsse es deshalb verstärkt um „ökologische Herzensbildung“ gehen. Das vierte Kapitel enthält ein entschiedenes Plädoyer für die Rechte aller Lebewesen als „Individuen“ sowie der Naturkräfte generell. Im letzten Teil des Buches werden schließlich Aktionsformen und Aktionsgruppen vorgestellt, die im Sinne eines Respekts vor dem Lebendigen wirken. Entscheidend hier: Die schon bei Papst Franziskus elementare Zusammenschau von Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen wird auch von Enxing herausgestellt und mit Prinzipien der katholischen Soziallehre in Zusammenhang gebracht.

Das Buch ist eine Mischung aus predigtartiger Mahnung und zivilisationskritischer Selbstanklage, lebendigem Exkursionsbericht und theologischer Expertise, populärwissenschaftlicher Collage und religionspädagogischer Werbung. Obwohl es im Kern nichts Neues enthält, wird es sich sicherlich gut verkaufen. Die Themen und Ideen („Mehrgenerationen-Multispezies-Co-Habitat“) liegen im Trend und ermutigen insbesondere Religionslehrkräfte, ihre praxisorientierte Auslegung des Schöpfungsglaubens weiter zu verfolgen. Dass die Botschaften, die „G*tt“, Bibel, Papst oder christlicher Glaube senden, zumeist deckungsgleich sind mit denen, die der Club of Rome, der Intergovernmental Panel on Climate Change, Fridays for Future, PETA, Harald Lesch oder Hilal Sezgin verkünden, wird in diesen bildenden oder erzieherischen Zusammenhängen eher als Chance denn als Problem begriffen. Es bleibt also die Frage: Wozu eine religiöse Verdoppelung dessen, was medial ohnehin in Dauerschleife gefunkt wird?

Für Julia Enxing ist – so der Subtext – die Etablierung einer „dunkelgrünen Religion“ Teil einer neuzeitlichen Selbstbesinnung des Christentums. Angestoßen durch christlich nicht selten diskreditierte menschen- und naturfreundliche Movements lernt der Glaube sich selbst sowie seine biblischen Grundlagen wieder neu und vertieft verstehen. Diese Relecture ist notwendig, um das in Traditionen und Konventionen erstarrte Christentum zu öffnen für den lebendigen Gott, der in der Schöpfung wirkt. Die „Ebenbildlichkeits“-Auszeichnung aus Gen 1 stellt in Enxings Lesart deshalb auch keine zertifizierte Berechtigung zu irgendetwas aus, sondern ist im Gegenteil als Frage zu verstehen, welcher Mensch man selbst eigentlich sein möchte.

Natürlich ist das Buch nicht frei von Sprüchen für das Sofakissen („Dieser Planet gehört niemandem“). Das gehört zum Genre. Für eine politisch sich verstehende Theologie bleibt aber gerade deshalb die Frage nach den Subjekten hinter den verwendeten Personalpronomina. Wer ist das in Selbstbesinnung verweilende „wir“, wer ist mit „uns“ oder „jeder Einzelne von uns“ gemeint? Enxing ist sich der milieubezogenen Selbstreferentialität ihres Diskursbeitrages sehr deutlich bewusst, auch der Gefahr, in moralische, symbolaktionistische sowie sektiererische Selbstgerechtigkeit abzudriften. Das ist sympathisch; Gegenwind hat sie in den zahlreichen Vortragsveranstaltungen zum Thema schon reichlich zu spüren bekommen. Wissen evoziert eben nicht automatisch Handeln. Die Geschichte der ökologischen Bewegung ist seit Alexander von Humboldts Zeiten auch eine permanente Geschichte der Niederlagen. Die industrielle Revolution im 19. Jahrhunderts und die beiden ökonomischen Take-off-Phasen nach 1950 und 1990 waren stets begleitet von Warnungen. Geholfen haben sie leider nichts.

Warum uns der christliche Glaube verpflichtet, die Schöpfung zu bewahren
München: Kösel-Verlag. 2022
192 Seiten
20,00 €
ISBN: 978-3-466-37292-8

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