Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Klaus Viertbauer / Heinrich Schmidinger (Hg.): Glauben denken

Das junge Christentum hat sich primär als eine Philosophie verstanden, und zwar im antiken Verständnis von Erkenntnislehre und Lebensführung. In diesem Sinn hat es sich als eine Alternative zu den philosophischen Schulen der Zeit präsentiert. „Ich zeige euch jetzt noch einen anderen Weg, einen, der alles übersteigt“, ist bei Paulus an prominenter Stelle zu lesen – im Einleitungssatz zum Hohelied der Liebe in 1 Korinther 12,31b. Mit der Verchristlichung der Gesellschaft ist dieser Weg dann alternativlos geworden. Erst aus dieser religiös-politischen Einheit heraus hat seit dem Mittelalter die Philosophie im Westen zunehmend ihre eigene Autonomie gegenüber der Theologie gewonnen – ohne dabei zunächst ihre Ancilla-Funktion zu verlieren, nämlich die Vernünftigkeit des Glaubens zu belegen. „Recta ratio fidei fundamenta demonstrat“, hat noch das 1. Vatikanische Konzil im Jahr 1870 geglaubt.

Zu dieser Zeit hat sich die Philosophie längst aus ihrem theologischen Dienst entlassen und in ihrer Freiheit pluralisiert, mehr noch: Der moderne Wissenschaftsbetrieb hat der Theologie einen Platz am Rand zugewiesen. Im besten Fall gesteht er ihr eine eigene Rationalität in einem streng begrenzten Zuständigkeitsbereich zu. Denn er sieht den Fortschritt des Wissens wesentlich darin, in der Forschung von Gott abzusehen: Theologie mag für spezifische religiöse Phänomene von Belang sein, aber nicht, weil eine Welt ohne Gott nicht vorstellbar wäre. Wer will, kann über Metaphysik nachsinnen, aber notwendig ist sie nicht.

Wie lassen sich unter diesen Voraussetzungen fides et ratio, Glaube und Vernunft zusammen denken? Vor nichts hat die Theologie innerhalb der scientific community mehr Sorge, als dass ihr Fideismus, also Irrationalität, unterstellt werden könnte. Woran aber soll sie ihre Rationalität messen? Macht sie sich nicht abhängig von den Zufälligkeiten dieses oder jenes philosophischen Trends, an dem sie ihr Maß nimmt? Kann sie überhaupt an Wissensformen Orientierung finden, die die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, aus ihrem Rationalitätsverständnis heraus von vornherein methodisch ausklammern müssen? Diese Fragen wirft der Sammelband „Glauben denken“ auf, ohne dass er sie dezidiert in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken würde.

Vielmehr lässt er 16 verschiedene katholische Theologen – nur eine Theologin! – aus den Geburtsjahrgängen 1934 bis 1971 (mit Schwerpunkt auf den 1950er Jahrgängen) jeweils mit ihren Referenzphilosophien zu Wort kommen, alphabetisch in drei Kategorien sortiert: Subjektivität, Erkenntnistheorie und Gesellschaft. Über ihre Plausibilität ebenso wie über ihre Gewichtung – Schwerpunkt: Subjektivität – ließe sich diskutieren. Es fällt auf, dass innovative theologische Köpfe fehlen, wie z.B. Margit Eckholt, Theresia Heimerl oder Doris Strahm, Daniel Bogner, Gregor Maria Hoff oder Magnus Striet, um nur einige wenige aus der deutschsprachigen katholischen Theologie zu nennen.

Im Ergebnis stellt der Band wie eine Anthologie Texte verschiedener Autoren und deren Werke vor. Selektivität ist in einem solchen Fall unvermeidlich. In seiner Einführung hebt K. Viertbauer (Philosoph an der Katholischen Privat-Universität Linz, der das Buch zusammen mit H. Schmidinger, Philosoph, Rektor der Universität Salzburg und bis 2015 Präsident der Österreichischen Rektorenkonferenz, herausgegeben hat) die „philosophische Durchdringung der Deutungsmuster bzw. Logifizierungsstrukturen von religiösem Glauben“ als Ziel hervor. Auf diese Weise gelte es, „den Ort der Gottesbegegnung freizulegen und transparent zu machen“ (13). Ohne weiteres nachvollziehbar wird die Textauswahl dadurch nicht.

Zu den Beiträgen im Einzelnen: Unter der – knapp die Hälfte des Buches füllenden – Kategorie „Subjektivität“ kommen K. Appel, G. Essen, J. Hoff, K. Müller, H. Verweyen, S. Wendel und J. Wohlmuth zu Wort. K. Appel stellt den Heiligen Geist der göttlichen Trinität als Signatur des Offenen, des Fragilen und des Gefährdeten heraus und bezieht sich dabei insbesondere auf Agamben (während bspw. Benjamin keine Erwähnung findet). G. Essen leitet fragend den philosophischen Theismus vom christlichen Offenbarungsverständnis her und erklärt dieses zugleich – in Reminiszenz auf das Böckenförde-Diktum – zur Sinnprämisse für ein Verständnis des Menschen als einer Person in Freiheit, „das die Vernunft als solche nicht zu verbürgen vermag“ (59). J. Hoff arbeitet im Kontrast zu einer szientistischen Wissenschaftsauffassung die doxologischen bzw. liturgischen Grundzüge unseres Wirklichkeitsverstehens (Danken und Loben, Eucharistie im griechischen Wortsinn als Erkenntnisquelle) heraus und beruft sich dabei vornehmlich auf Nikolaus von Kues. K. Müller stellt mit Berufung auf seinen philosophischen Kronzeugen Henrich und gegen naturalistische bzw. materialistische Auffassungen sein anspruchsvolles monistisches Panentheismus- bzw. All-Einheits-Konzept sowie einige damit verbundene theologische Implikationen am Beispiel der Christologie vor. H. Verweyen lässt die Genese-Schritte seiner an Fichte und einem Begriff letztgültigen Sinns orientierten bis in die 2000er Jahre entwickelten Christologie eines in unendlicher Geduld warten könnenden Gottes („Gottes letztes Wort“) Revue passieren. S. Wendel – die einzige Theologin in diesem Band – geht in den Spuren von Müller und Verweyen sowie Pröpper den Möglichkeiten einer erstphilosophisch, der Idee des Unbedingten verpflichteten Theologie als Handlungswissenschaft, d.h. als Reflexion auf den Grund christlicher Praxis, nach. J. Wohlmuth vergleicht – im umfangreichsten Beitrag dieses Bandes – Pröppers theologische Anthropologie mit einem von Levinas inspirierten „Denkstil“, der das Subjektverständnis radikaler vom Alteritätsgedanken her zu konzipieren und „die Idee des Unendlichen als eine ins Herz des Menschen gelegte Schöpfungsgabe“ (189) nicht zuletzt in den interreligiösen Dialog einzubringen verstehen soll.

Unter der Rubrik „Erkenntnistheorie“ finden sich die Autoren R. Faber, A. Kreiner, F. Ricken, Th. Schärtl und J. Werbick versammelt. R. Faber rekonstruiert die Grundelemente (Einheit und Vielfalt, Relationalität und Prozess) und die Rezeptionswege der „Prozesstheologie“ Whiteheads  – mit Fokus auf Claremont und die interreligiösen Potenziale – und wirbt für sein eigenes „theopoetisches“ Konzept „apophatischer Liebe“ der Mannigfaltigkeit, deren „poetischer Leib“ die Welt ist (222). A. Kreiner thematisiert die Gottesfrage angesichts einer Pluralität von wahrheitstheoretischen Kontexten, in denen sie jeweils anders aufgeworfen ist, und erörtert anknüpfend an Nozicks Rationalitätsbestimmung Herausforderungen ihrer Bearbeitung, die sich dem Schlüsselproblem der Theodizee stellt und sowohl Relativismus als auch Fundamentalismus als auch Naturalismus die Stirn bietet. F. Ricken definiert mit Blick auf die biblische, die theologische, die mystische und die philosophische Form der Gottrede als Aufgabe von Religion und Theologie in einer pluralistischen Gesellschaft einerseits – wie Essen mit Bezug auf das Böckenförde-Diktum – die Sicherung jener Voraussetzungen des freiheitlichen, säkularen Staates, die dieser selbst nicht garantieren kann, und andererseits – im Sinn von Habermas – deren Versprachlichung, die zu einer rational motivierten Verständigung beitragen soll. Th. Schärtl untersucht in Auseinandersetzung mit angloamerikanischen „philosophischen Gotteslehren“ gemäß der Aussagenlogik die Spezifik religiöser Überzeugungen sowie ihre Begründbarkeit fokussiert auf die Zuschreibung von Vollkommenheitsattributen, die mit dem Gottesbegriff verbunden sind, und favorisiert das „euteleologische“ Konzept eines ultimativen Guten, das sich im Universum realisiert. J. Werbick plädiert ausgehend vom unterschiedlich motivierten Wettbewerb um die richtige Behandlung der Gottesfrage in der Theologie für eine trinitätstheologisch geprägte Rede von der „Selbstinvolvierung“ bzw. „Anteilnahme“ Gottes am „Menschen-Dasein“ im Unterschied zu einer – von der kabbalistischen Tradition des „Zimzum“ bzw. von Kierkegaard inspirierten – Rede von der „Selbst-Zurücknahme“ Gottes.

Im – kürzesten – Abschnitt „Gesellschaft“ sind schließlich Beiträge von E. Arens, M. Knapp, P. Schmidt-Leukel und K. von Stosch zu finden. E. Arens unterscheidet anknüpfend an Habermas’ Theorie der kommunikativen Vernunft vier Weisen der religiösen Gottrede, die Rede von Gott (biblisch, bezeugend und bekennend), zu Gott (betend), über Gott (theologisch) und vor Gott (verständigend, öffentlich), die er von den Dimensionen der Erinnerung und der Verheißung geprägt sieht. M. Knapp zieht den Schluss, dass auch eine zu Pröppers subjekttheoretischer Freiheitskonzeption alternative Denkform auf der Basis einer philosophischen Theorie der Anerkennung im Paradigma der Intersubjektivität, wie sie bei Buber oder Honneth zu finden ist, den Ansprüchen eines Vernünftigkeitsnachweises des christlichen Glaubens genügen würde. P. Schmidt-Leukel argumentiert in Auseinandersetzung mit der atheistischen Kritik an der Vielfalt religiöser, sich wechselseitig ausschließender Wahrheitsansprüche (Montaigne: „Was ist das für eine Wahrheit, die an den Bergen aufhört und in der Welt dahinter als Lüge gilt?“) für eine interreligiöse Theologie im Rahmen einer pluralistischen Religionstheologie, wie sie Hick oder Smith entwickelt haben, die verstehen will, „worin die Wahrheit auf beiden Seiten jeweils liegt“ (376). K. von Stosch schließlich plädiert ausgehend von einer Definition religiöser Überzeugungen als „Ausdruck menschlicher Letztorientierung in Bezug auf die letzte Wirklichkeit“ (379) mit Referenz auf Wittgensteins „Über Gewissheit“ für den Aufbruch zu „komparativen und dialogischen Denkbewegungen“ (394), die „das Eigene im Fremden zu sagen“ (404) versuchen.

Unterm Strich folgen die Beiträge den breiten, modernen nordatlantischen Pfaden einer Verinnerlichung und einer Ethisierung des religiösen Glaubens. Dabei unterscheiden sie sich stark in ihrer Sorgfalt der Sprachgestaltung. Wie die vorbeifliegenden Landschaftsteile bei 250 Stundenkilometern im ICE werden Bruchstücke theologischer Modelle und Stile aufgetischt. Im besten Fall wird damit das Interesse geweckt, an der einen oder anderen Stelle auszusteigen – in der Hoffnung, Gegenden zu entdecken, die Lust auf mehr machen.

 

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2016

407 Seiten

89,95 €

ISBN 978-3-534-26773-6

Zurück