Eulenfisch - Limburger Magazin für Religion und Bildung

Klaus von Stosch / Sabine Schmitz / Michael Hofmann (Hg.): Kultur und Religion

Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme

Transcript ist der Fachverlag für neue Geisteswissenschaften und bietet aktuellen Diskursen in Soziologie, Psychologie, Kulturwissenschaften, Geschichte und Philosophie ein Forum; die Theologie begegnet hier selten. Religion jedoch ist eines der neuen gesellschaftlichen Megathemen und wird auch kulturwissenschaftlich reflektiert; deshalb macht die Präsenz eines religionsbezogenen Buches in der „Edition Kulturwissenschaft“ neugierig. 

Der Band „Kultur und Religion“ veröffentlicht eine Ringvorlesung am Paderborner Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaft. Die Herausgeber sind Klaus von Stosch, katholische3 Systematiker und Vertreter einer Komparativen Theologie, und Sabine Schmitz, Professorin für Romanische Literatur- und Kulturwissenschaften, sowie Michael Hofmann, der Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik lehrt. 

Kultur und Religion als eng aufeinander bezogene Systeme sind kaum voneinander unabhängig zu betrachten. Religion ist als Symbolsystem und Praxisraum den Kulturen eingewoben und kann umgekehrt nie unabhängig von der kulturellen Umgebung betrachtet werden. Wechselwirkungen von Kultur und Religion sind „kompliziert“ (7) – und so ist auch die Ineinander-Schachtelung der Beiträge als interdisziplinäres Gespräch mit Resonanzen aus jeweils anderer Perspektive recht kompliziert. Die Rezensentin setzt gute Planung voraus und stürzt sich neugierig auf die Inhalte, die durch das Resonanz-System bereits eine interne Rezension beinhalten. Die kulturwissenschaftlichen Annäherungen als Ergründung von Alltagspraxis sind innerhalb der Literaturwissenschaften (Germanistik, Romanistik, Anglistik) angesiedelt und argumentieren vorrangig literaturbezogen. Sie wenden sich der Religion „aus der distanzierten Außensicht“ zu, während die Theologen sich „um eine Vermittlung von Außen- und Binnenperspektive (…) unter Einbeziehung von Wahrheits- und Geltungsfragen“ (8) bemühen. Diese Differenz im Erkenntnisinteresse birgt fruchtbares Potential, doch ebenso die Gefahr des gegenseitigen Nicht-Verstehens, was beispielhaft am ersten Impuls-Resonanz-Paar dargelegt sei.

Michael Hofmann (13-36) liest Bücher, die als „blasphemisch“ abgestempelt wurden, als literarische Religionskritik, aber auch als Ausdruck des Zweifelns und Suchens. So sprechen Salman Rushdie und Günther Grass (in der „Blechtrommel“) „im Namen der Menschen, der Erfahrung menschlicher Geschichte und im Namen einer Realisierung aller menschlichen Möglichkeiten“ (34) gegen realitätsabstinente religiöse Praktiken und Dogmatismen. Hofmann kritisiert an der Theologie, dass sie zwar theoriegeleitet-reflexiv agiert, aber die „kritischen Einwände“ von Kunst und Literatur als „Ergebnis schmerzhafter Erfahrungen (…) der Unmenschlichkeit religiöser Denkweisen und Praktiken“ (34) nicht ernst nimmt, sondern als „Sprungbrett“ für rasche Predigt nutzt. Zerrissenheit, Sinnlosigkeit, Unreinheit: Die literarischen Gewährspositionen zeigen dieses „Repertoire menschlicher Möglichkeiten“ (35), die keineswegs eines heilenden religiösen Gegenangebots bedürfen. Aaron Langenfeld repliziert theologisch (37-46) mit grundsätzlicher Zustimmung zu literarischen Formen externer Religionskritik; darüber hinaus muss die Theologie lernen, „nicht-religiöse Weltdeutungsmuster“ (42) wirklich zu respektieren. Respekt ist für ihn ein „Beziehungsbegriff“ (43), der – nicht eine interessenlose Toleranz anders gearteter Weltdeutung, sondern – Gespräch und Verstehensversuch impliziert. Er paart dies mit der Anfrage, ob die Literaturwissenschaft ihrerseits mit einem solchen Respekt auf die Theologie zugeht und deren Perspektiven in die Deutung literarischer Werke einbezieht.

Die Impulse von Norbert Otto Eke und Merle Tönnies folgen literarischen Beispielen, wobei sie nicht versuchen, diese Binnenperspektive zugunsten einer übergreifenden These aufzubrechen – theologisch repliziert unter den Begriffen „Widerstand“ (Anne Strotmann) und „Zweifel“ (Sophia Niepert-Rumel). Die Konturierung muslimischer Identität in Frankreich folgt soziologischen Erkenntnissen (Sabine Schmitz / Resul Karaca; repliziert durch Nikola Tietze). Der einzige theologische Impulstext (Klaus von Stosch zu Paul Tillich, ein Grundsatzbeitrag!) wird islamwissenschaftlich repliziert (Hamideh Mohagheghi). Als Nachklapp wirkt der schließende philosophische Beitrag von Jochen Schmidt.

Eingangs formulieren die Herausgeber, dass gerade die „Kontextualisierung religiöser Texte“ (8) und die Frage nach der Bedeutung ihrer Sakralität notwendig von Kulturwissenschaften und Theologie her zu eruieren sei. Schade, dass religiöse Texte in den kulturwissenschaftlichen Annäherungen nicht auftauchen und nur bei Sophia Niepert-Rumel eingebracht werden; die Beiträge, jeder durchaus treffsicher und lesenswert, beziehen sich auf religiöse Phänomene in vorwiegend männlicher Feder entflossener Literatur. Abschließend eine nicht nur auf dieses Buch beschränkte Erkenntnis: „Heiß“ scheint derzeit vor allem der Islam zu sein – sogar für die christliche Theologie.

Edition Kulturwissenschaft
Bielefeld: transcript Verlag. 2016
177 Seiten
29,99 €
ISBN 978-3-8376-3282-8

 

Zurück